Warum Gursky jetzt in Duisburg? Der Fotokünstler zur WAZ: ‘Diese Ausstellung birgt für mich eine stark emotionale Komponente.’ Weil aufgewachsen im Düsseldorfer Norden, hätten frühe fotografische Streifzüge stets in Duisburg begonnen.
‘Die Gegend ist mir sehr vertraut. Ich arbeite gerade an einer Aufnahme, die die Industriearchitektur des Ruhrgebiets in Augenschein nimmt – vielleicht eine unbewusste Danksagung und eine Hommage an meine großartigen Lehrer Hilla und Bernd Becher.’

Andreas Gursky, “Sonntagsspaziergänger, Mülheim a. d. R., 1985”.
AG studierte von 1978 -81 an der Universität-Gesamtschule Essen Visuelle Kommunikation bei Michael Schmidt. Aber auch die Lehre von Timm Rautert und Joachim Brohm haben seiner Rezeption den Boden bereitet.
AG: „Was mich schlussendlich interessiert, ist nicht, Wirklichkeit zu erfinden, sondern die Wirklichkeit an sich. Sie hervorzuheben, zu akzentuieren erscheint mir dabei legitim. Ich versuche dabei, kein Bild so aussehen zu lassen, als sei es bearbeitet worden (…) und doch war nichts so, wie es hier erscheint. Diese Bilder sind vollkommen künstlich.“
Bis 31. Januar 2022 hängen 60 Bilder aus 40 Jahren Gursky Fotografie: eine Minute Foto gucken während einer Stunde Besuchszeit. Kleine Formate hängen zunächst neben kleinen, große neben großen und XXL neben XXL. Schreitet man voran, sorgen auch die Räume und Ausblicke für eine Zwiesprache der Bilder untereinander und belegen exemplarisch, wie aus dem ehemaligen Fotostudenten Andreas der weltberühmte Gursky wurde.

Andreas Gursky, “Bauhaus. 2020” und “Rhein III, 2018”. Ausstellungsfoto: Christoph Kniel.
Er begann seine künstlerische Arbeit mit kleinformatigen Fotografien, fand aber schon Ende der 1980er Jahre zu großen Formaten und Anfang der 1990er Jahre zur elektronischen Bildverarbeitung. ‘Gursky fotografiert farbig, wobei er die Farbe eher verhalten einsetzt und mit den technischen Möglichkeiten des Großformats eine hohe Präzision der Abbildung erreicht, mit dem Werkzeug computergestützter Bildbearbeitung jedoch in die Abbildung eingreift. So erzeugt er in zahlreichen Aufnahmen künstliche Wirkungen, die auf Montagen beruhen.’ (Wikipedia).
Der bekannte brennende Dreiplatten-‘Gasherd’ von 1980 neben den Motiven ‘Windfang’ in der Düsseldorfer Brauereigaststätte Uerige und ‘Geschirrtheke’ in der Brauereigaststätte Schumacher von 1981: humorvoll, gerade wegen der Abwesenheit von Köbes und Küchenkraft. Alle drei sind auch wegen des kleinen Formats echte Hingucker.

Andreas Gursky, aus “Pförtner, Salzgitter, Düsseldorf, 1982”.
Respektvoll und gleichwohl mit ironischer Distanz die Serie Pförtner von 1982. Die Herren der Firmen Spaeter, Duisburg, Thyssen, Salzgitter, Provinzial, jeweils Düsseldorf sowie die Passkontrole am Flughafen (43×52 cm) scheinen den Betrachter zu fixieren und sich ihrer Wichtigkeit bewusst zu sein. Im Kontrast hierzu die Protagonisten des Diptychons Hauptversammlung von 2001. Die Vorstände der größten deutschen Konzerne werden stark verkleinert wiedergegeben und damit vom Podest geholt; das Ritual Hauptversammlung wird auf absurde Ebenen gehievt und somit entmythisiert, Größenwahn lächerlich gemacht.
Etwa zwei Dutzend Motive im Format 21×28 cm bis 43×52 cm zwingen den Betrachter zum Foto hinzugehen und damit zu genauem Hinsehen. Manche davon sind launig, humorvoll, absurd und scheinbar banal. Darunter Krefeld Hühner 1989, Düsseldorf Terrasse 1980, Klausenpass 1984, Essen 1984, Ratingen Schwimmbad 1987, Bochum Universität 1988, Duisburg Brücke 1989, Mülheim a. d. R. Angler, 1989, Breitscheider Kreuz 1989, Schweine I 2020.

Andreas Gursky, “Rhein III, 2018” und Pyongyang VII 2017 (2007). Ausstellungsfoto: Chrstoph Kniel.
AG: „Ich würde wirklich sagen, dass es mit den jetzigen digitalen Möglichkeiten keine Unterschiede mehr gibt zwischen Fotografie und Malerei.“
Im Museum Küpppersmühle hat er eigens einen Kabinett-Raum mit starkem örtlichen Bezug konzipiert. MKM-Direktor Walter Smerling ist begeistert: ‘Gursky hält uns einen Spiegel vor, zeigt uns einen Ausschnitt der Wirklichkeit, wie wir sie neu entdecken können.’ (WAZ.de vom 08.09. d. J.)
Was ich in Duisburg empfunden habe: fast alle Gurskys sind irgendwie doch auch Portraitfotos. Die Abwesenheit von Menschen oder deren winzige Abbildungen sind dennoch auch Portraits. Nahezu unsichtbar: die US-Kinoikone John Wayne im XXL-Wimmelbildfoto Amazon 2016. Dass er auch emotional sein kann, beweist er mit dem ganz privaten Foto A und E von 2019. Es zeigt seine Ehefrau und das gemeinsame Kind und erinnert an ein Gemälde der italienischen Renaissance.

Andreas Kursky, “Amazon 2016”, Ausstellungsfoto: Christoph Kniel.
Bizarr und wie aus dem Rahmen fallend Lehmbruck I von 2013. Den gläsernen Kubus des Duisburger Lehmbruck-Museums, der in der Regel nur Werke des großen expressionistischen Bildhauers enthält, hat AG via Computer mit einer imaginären Kunstsammlung zeitgenössischer Werke gefüllt. Darunter mit Skulpturen von Neo Rauch und Duane Hanson. In und um diese ordnete Gursky eine fiktive Sammlung zeitgenössischer Werke und richtet seinen Blick unter anderem auf die Institution Museum.
Weniger überzeugend der Moralist Gursky. Das Motiv “Politik II” (2020) zeigt zwölf Bundespolitiker:Innen à la Abendmahl. Als Judas am linken Bildrand ein Zeitungsleser. Die oberen zwei Drittel des Bildes zeigen das Detail einer Uhr mit römischen Ziffern in Schwarz-Weiß, fünf nach elf, über dem farbig ein Bambusrohr schwebt. Es handelt sich um ein 3,70 Meter breites Gemälde in Acryl und Öl von Ed Ruscha, “Five Past Eleven” (1989), im Besitz des Hirshhorn Museum in Washington D. C. – AG hat es vollformatig wiedergegeben und in ein schwarzes Passepartout eingelassen, ‘sodass die Bundestagsgruppe scheinbar nicht vor einem Gemälde, sondern vor einer Kinoprojektion steht’.

Andreas Gursky, “Amsterdam, EM Arena I” und “Rhein III”, 2018. Ausstellungsfoto: Christoph Kniel.
Und noch zwei eindringliche Warnungen gibt uns der Künstler mit: die Motive Rhein III 2018, mit einer sonnenverbrannten, braun gefärbten Ufervegetation und das gleißend weiße Antarctic 2010, sind Aufforderungen an uns, den Klimaschutz endlich ernst zu nehmen. Die Ausdehnung des derzeitigen Ozonlochs ist bereits größer als die gesamte Antarktis, teilte der Copernicus-Atmosphärenüberwachungsdienst (Cams) der Europäischen Union am 16. September d. J. mit.
Mehrdeutig das Ausstellungsplakat mit dem Motiv Apple 2020: wohl kein Technikunternehmen weltweit hat unsere Lebens- und Sehgewohnheiten mehr verändert und beeinflusst als dieser, dessen Produkte, Marketing und Image bei vielen Menschen kultischen, fast religiösen Charakter genießen. Das Foto zeigt auch ein Iphone: dass damit auch telefoniert werden kann, ist längst nur Nebennutzen. Das Handy hat die klassischen Fotokameras fast überflüssig gemacht und sorgt für eine gigantische Bilderflut, über die der kanadische Fotograf Robert Polidori sagt: “Digital is made to forget, analogue is made to remember.” (aus SZ.de vom 05.06.2015)
Rahmensprengend: der Katalogpreis von € 89,00. Tatsächlich aber ist ‘Andreas Gursky – 2020’ ein Künstlerbuch im Schuber: ‘Ausgewählte Zitate aus Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften verweben die einzelnen Ebenen’ (Pressetext MKM).
Text: Hartmut Bühler
Ausstellungsfotos: Christoph Kniel
Zitate Andreas Gursky: https://fotozitate.info/1999_Gursky
MKM Museum Küppersmühle
für Moderne Kunst
Duisburg Innenhafen
Philosophenweg 55
D- 47051 Duisburg

Museum Küppersmühe im Innenhafen Duisburg. Foto: Christoph Kniel.