Allein in diesem Jahr werden 800.000 bis eine Million FlĂŒchtlinge nach Deutschland kommen und um Asyl bitten. Neben Toleranz und Sympathiebekundungen schlagen den Asylsuchenden WiderstĂ€nde, Hass und Gewalt entgegen. Die Stiftung Mercator bezieht Stellung und zeigt in ihrem RĂ€umen anteilnehmende Fotos zum Thema. Eine Ausstellung im laufenden BĂŒrobetrieb? Hartmut S. BĂŒhler hat sich fĂŒr ruhrspeak vor Ort umgesehen.
Die Stiftung Mercator prĂ€sentiert in Zusammenarbeit mit Magnum Photos und der Reportageschule Reutlingen 50 Farb- und SchwarzweiĂ-Fotografien, deren Motive mit Deutschland im MĂ€rz 1945 beginnen und bis zur Situation heutiger KriegsflĂŒchtlinge in Syrien, im Irak oder in der Ukraine reichen.
Erinnern wir uns: Fast jeder Deutsche kennt dazu wohl wenigstens eine Episode aus der eigenen Familiengeschichte. Nicht nur deshalb geht uns alle die âOdyssee Europaâ an.
2011 -1946 – 2012: Motive aus der Ausstellung

ITALY. Lampedusa. July 2011. Friday 08 july 2011: a boat coming from Libya has been spotted and caught by the coast guards (Costiera Guardia) 35 miles away from Lampedusa. Foto: Patrick Zachmann/Magnum Photos

GERMANY. Bonn. The foot of a displaced person. 1946. Foto: Werner Bischof/Magnum Photos

TURKEY. March 2, 2012. Along the Turkish-Syrian border in Hatay Province. Under the cover of night a network of Syrian smugglers transport a family fleeing the violence inside Syria on a rowboat across the Orentes River, which marks a stretch of the border between northern Syria and southern Turkey. Foto: Moises Saman/Magnum Photos
Die AusstellungsrÀume
So wichtig diese Ausstellung auch ist: die RĂ€ume der Stiftung Mercator sind nicht eben eine optimale Location. Denn darin arbeiten Stiftungsangestellte, Publikum ist dabei eher störend, ein Besuch der Ausstellung nur wĂ€hrend der BĂŒrozeiten und nach Voranmeldung möglich. Die Exponate geraten in dieser Umgebung eher zu Dekoration als zu Kunstwerken mit starker PrĂ€senz.
Ausstellungsidee als Vermarktungskonzept?
Ăbrigens: Die âOdysse Europaâ kann auf Wunsch fĂŒr jeweils sechs Wochen âgemietetâ werden. Die Veranstalter bieten auf ihrer Website odyssee-europa.net/#fourth das komplette Ausstellungpaket an incl. Fotos, ausziehbaren Aufstellern fĂŒr die Bildtexte und Verpackung in robusten Transportkisten. Der Veranstalter trĂ€gt die Kosten fĂŒr Versicherung, die AusleihgebĂŒhr in Höhe von 6.000 Euro und weitere Kosten wie Reisespesen.
Hoppla, da drĂ€ngt sich dem Autor der Eindruck auf, dass es sich trotz der Relevanz des Themas “Flucht und FlĂŒchtlinge” auch um eine Vermarktungsidee des Magnum-Photoarchivs handelt. Wobei wahrscheinlich der zahlende Aussteller in der jeweiligen Lokalzeitung fĂŒr Eigen-PR sorgen wird â mit stĂ€rkerer Wirkung als eine gewöhnlichen Zeitungs-Annonce erzielen wĂŒrde.
Das ist zwar legitim, doch es bleibt “ein GeschmĂ€ckle”. Ob Magnum-Fotografen dieses Photo-Leasing begrĂŒĂen? Aber vielleicht kommt der Erlös ja Betroffenen zugute.
Stefan Junger von der Reportageschule Reutlingen nimmt Stellung: “Zur Vermarktungsfrage: Das kann man vielleicht so sehen. Die Initiative zu dieser Ausstellung ging jedoch von der Reportageschule aus und das war nicht unser Ansatzpunkt. Gute Journalisten haben ein GespĂŒr fĂŒr ein gutes bzw. relevantes Thema. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass VorĂŒberlegungen bereits ĂŒber eineinhalb Jahre zurĂŒckliegen. Dass das Thema jetzt, wo wir die Ausstellung zeigen, so brennend aktuell ist, spricht auf jeden Fall fĂŒr einen guten ÂŽRiecherÂŽ.”
Von Magnum gab es trotz zweier Bitten um Stellungnahme keine Antwort.
Magnum-Fotografen im O-Ton:
Nachfolgend eine Auswahl an Zitaten von Magnum-Fotografen zu ihrer Arbeit. Quelle der Fotografenzitate sind die Bildtafeln von “Odyssee Europa”:
Abbas Atar (* 1944 Iran): “Beim Fotografieren sehe ich schwarzweiĂ. Ich befinde mich dabei in einem Zustand der Gnade: im vollen Bewusstsein fĂŒr Licht und Bewegung nehme ich ein Ereignis in seinen politischen, sozialen, religiösen oder auch in seinen Ă€sthetischen Dimensionen wahr.”
Michael Christopher Brown (* 1977 US-Staat Washington) gehört zur neuen Generation von Magnum-Fotografen und arbeitet viel mit dem iPhone. Erstmals nutzte er die Handykamera wĂ€hrend der AufstĂ€nde in Syrien. “Obwohl ich derjenige bin, der den Auslöser drĂŒckt, gibt mir das Telefon eher das GefĂŒhl ein BĂŒrger zu sein als ein Kameramann.”
Moises Saman (* 1974 Peru): obwohl er immer wieder in Krisenregionen und Kampfgebiete fĂ€hrt, mag er die Bezeichnung “Kriegsfotograf” nicht. Er sei nicht an KĂ€mpfen interessiert, sondern an den NebenschauplĂ€tzen. Sie zeigten das Gesicht des Krieges viel deutlicher. âTrotzdem hoffe ich, dass meine Bilder auch Aufmerksamkeit erregen.â
RenĂ© Burri (1933-2014, Schweiz) ĂŒber seine Arbeitsweise 1961 im Notaufnahmelager Marienfelde:”… ich konnte mich im Lager frei bewegen und mit meiner Leica bin ich auch nicht so aufgefallen.” Die FĂ€higkeit, sich als Beobachter gleichsam unsichtbar zu machen, ermöglichte ihm Aufnahmen von hoher GlaubwĂŒrdigkeit.
Patrick Zachmann (* 1955 Frankreich) sagt, er sei Fotograf geworden, weil er kein GedĂ€chtnis habe. Seine Erinnerung beginne mit 22, als er anfing, zu fotografieren. “Wenn ich ein Projekt starte, kenne ich nur den Anfang, aber ich weiĂ nie, wo es mich hinfĂŒhrt.” âMein Wunsch, Fotograf zu sein, kommt aus einer Motivation heraus, die Welt zu verĂ€ndern und mich selbst in der Welt zu verstehen.â
Odyssee Europa â Flucht und Zuflucht seit 1945
noch bis zum 11. November 2015
montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr
(ausgenommen Feiertage).
Mercator-Stiftung
Essen, Huyssenallee 46
Terminabsprache:
odyssee.europa(at)stiftung-mercator.de oder 0201/24522-0
Der Ausstellungskatalog kostet 25,00 Euro. Vor Ort konnte er nicht gekauft werden.
Text und Ausstellungsfotos: Hartmut S. BĂŒhler, Fotograf
âOdyssee Europaâ machen möglich: Magnum Photos (Paris, London, Tokio) und Zeitenspiegel-Reportageschule GĂŒnter Dahl, Reutlingen. Mit UnterstĂŒtzung von Wiedeking Stiftung (gegrĂŒndet von Ex-Porsche Chef Wendelin Wiedeking) und Stiftung Mercator (gegrĂŒndet von der Handelsfamilie Schmidt-Ruthenbeck aus Duisburg).
Ăbrigens:
Zum Thema passt das Statement von Jorge Ramos, Moderator des US-Fernsehsenders Univision (jĂŒngst bekannter geworden durch seinen Zwist mit US-PrĂ€sidentschaftsbewerber Donald Trump): âFĂŒr die USA und Deutschland gilt aus meiner Sicht: Die GröĂe eines Landes bemisst sich nicht daran, wie es mit den MĂ€chtigen umgeht. Die GröĂe eines Landes bemisst sich daran, wie es mit den Machtlosen umgeht.â