Hartmut S. BĂĽhler, Fotograf und Autor, hat sich fĂĽr ruhr.speak mit Michael Kambers Bildband “BILDERKRIEGER” auseinandergesetzt und u. a. seine eigene Haltung zum Thema Kriegsberichterstattung reflektiert:
Seit Jahren befasse ich mich mit der fotografischen Kriegsberichterstattung, hatte mich sogar schon einmal dilettantisch bei verschiedenen Fotoagenturen als BILDERKRIEGER beworben. Zweifellos gut für meinen Gesundheitszustand, dass meine Fantasien vom „Frontfotografen“ Bühler von der Realität ignoriert blieb.
1987: “Auf keinen Fall den Helden markieren” – Interview mit JĂĽrgen Petschull
Den ersten Kontakt zu einem Kriegsberichterstatter der schreibenden Zunft knüpfte ich zu Jürgen Petschull, einem stern Magazin-Autor, den ich 1987 für das Handelsblatt Verlag-Magazin „zv+zv“ interviewte. Die Überschrift zum damals geführten Interview bildete sein Statement „Auf keinen Fall den Helden markieren“. Mein Interesse am Reportertypus à la Petschull wurde geweckt durch Kinofilme wie „Under Fire“, „Salvador“, „Ein Jahr in der Hölle“, „Killing Fields“ oder „Die Fälschung“.
Was waren Petschulls Motive, aus Krisengebieten zu reportieren? „Das Wort Kinoeffekt ist der richtige Ausdruck dafür. Aber man hat dabei ein schlechtes Gewissen.“ Weil, so der 1942 in Berlin geborene Informationsjäger damals, „man ja immer als Beobachter mit einer Rückfahrkarte unterwegs ist. Es sei denn, wenn ein Mensch unweit von mir beschossen wird.“ In einer solchen Situation fühle man sich als „Mitwirkender in einem Film.“ Obwohl, im Reporteralltag sitze man meist glücklicherweise eher „Parkett“. Sein Fazit: „Was mich am Beruf so reizt, ist das intensive Erleben auch des eigenen Lebens in Gefahr.“
Auch Petschull war ein BILDERKRIEGER. Zwar nicht als Kamerajäger, jedoch mit Notizblock, Stift und damals Schreibmaschine. Er fasste die Bilder, die ein Kameraobjektiv nicht machen konnte, in Worte, vermittelte seinen Lesern Atmosphärisches, Stimmungen und den politischen Kontext.
——– ——-
Joao Silva: „Die Kamera ist kein Filter. Was du durch deine Linse siehst, brennt sich ein in deinen Kopf. Unauslöschlich.“                          14.09.2013 in arte.tv, Sendung „Metropolis“
—————-
26 Jahre nach dem Treffen mit Petschull ist im Juni 2013 das Buch BILDERKRIEGER erschienen. Darin erzählen „20 der berühmtesten Fotografinnen und Fotografen“ dem Autor Michael Kamber, „warum es sie an die gefährlichsten Orte der Welt zieht. Sie schildern ihre Ängste, beschreiben ihre Hoffnungen, erinnern sich an Momente unvorstellbarer Barbarei und Augenblicke berührender Menschlichkeit. Wer als Kriegsfotograf sein Leben riskiert, um der Welt die Augen zu öffnen, kämpft gegen den Zynismus der Medien“ (Zitate: Verlagswerbung).
Der Argumentation „pro Kriegsfotografie“ im Buchklappentext vermag sich denn auch niemand so recht verschließen, zumal sie lautet: Die Presse, die Politik, wir alle brauchen ihre Fotos. Ihre Fotos sagen: Seht hin. Sie sagen: Tut was. Und Takis Würger, Reporter beim Magazin Spiegel ergänzt. „Ein Tod, den niemand dokumentiert, ist ein vergessener Tod.“
Einwände gegen das Buch lassen sich vorbringen, insbesondere gegen die vermeintliche Tatsache, dass es die 20 berühmtesten BILDERKRIEGER_INNEN weltweit seien, deren Erlebnisse in Interviewform gedruckt sind.
Welches sind die Auswahlkriterien fĂĽr die vier Kolleginnen und 16 Kollegen?
Ich hätte gewünscht, dass Kamber in wenigen Zeilen notiert hätte, warum er wen ausgewählt hat und andere außen vor ließ. Es fehlen beispielsweise Robert King, Paolo Pellegrin und James Nachtwey. (Nicht nur) seine Arbeit ist jedoch umstritten. So kritisiert Richard B. Woodward in The Village Voice, Nachtwey bilde den Schrecken von Krieg und Tod als „ästhetisches Wunder“ ab; Nachtwey sei eben so anti-war wie der Modefotograf Herb Ritts anti-fashion sei und Nachtwey habe – im Gegensatz zu Robert Capa – kein Anliegen. Er wirft dem Fotografen vor, beim sensationslüsternen Publikum den „Appetit“ auf immer grauenvollere Bilder zu befriedigen und sich dabei in der Rolle des „Heiligen“ zu gefallen.
Gravierend jedoch ist Nachtweys verschuldeter Integritätsverlust.
Im Rahmen des Aufstandes in Syrien sorgte ein “wohlwollender” Vogue Artikel (Ausgabe 02/2011) ĂĽber die Familie Assad mit dem Titel “Eine Rose in der WĂĽste” fĂĽr Irritationen, da der Artikel noch nach dem Beginn des Konfliktes, als schon Menschenleben und auch tote Journalisten zu beklagen waren, erschien. Im Artikel wurde die Herrscherfamilie und vor allem Assads Frau Asma, positiv dargestellt. Der Artikel war mit Assad-Familienbildern James Nachtweys illustriert.
Und ich sehe kein Bemühen, auch nur einen Fotografen „der Gegenseite“ fürs Buch gewonnen zu haben. Wo sind die Fotos der afghanischen, irakischen, syrischen Kollegen? Gibt es die oder darf es diese offiziell nicht geben? Ich erinnere mich, vor vielen Jahren eine Fotoausstellung über den Vietnam-Krieg gesehen zu haben: hierbei wurden auch Fotografien aus der Sicht „des Vietkong“, aus nord-vietnamesischer Sicht, gezeigt. Bedauerlicherweise weiß ich nicht mehr, wo und wann das war.
Was in BILDERKRIEGER unterschlagen wird: Statements der 20, wie sie es denn im Felde halten mit der Hygiene, Essen & Trinken… Diese Faktoren werden, wie so oft auch im Kino, verschwiegen. DarĂĽber darf und sollte neutral-sachlich berichtet werden.
Mir fehlt auch eine entsprechende Würdigung der sogenannten „Fixer“ (Journalismusjargon).
Das sind diejenigen „Hilfskräfte“ vor Ort, die den Bilderkriegern durch ihre Erfahrungen und Kontakte etc. erst ermöglichen, ihre Fotos zu kriegen. Petschull würdigte 1987 Toufik, der sich im Bürgerkriegs-Beirut größter Gefahr aussetzte: „Er hat sein Leben für mich und meinen Fotografenkollegen riskiert. Wir saßen mit der Auslandspresse in einem Beiruter Luxushotel, hatten im Überfluss zu essen und zu trinken, während draußen auf den Straßen Kugeln umherpfiffen und Menschen getötet wurden. Zu Recht war kein Taxifahrer bereit, uns zum Flughafen zu fahren. Daraufhin hat uns Toufik mit einem Affenzahn durch sämtliche Barrikaden gesteuert und uns zum Flugzeug gebracht.“ Warum er das tat? „Weil er, um es pathetisch zu sagen, ein besserer Mensch war als wir.“
Mein Fazit: sehr spannend zu lesen ist BILDERKRIEGER dennoch. Obwohl mehrmals machomäßig das hohe Lied über die Kameraheldinnen und -helden angestimmt wird. Dies trifft nach Meinung von Autor Kamber in erster Linie auf Fotograf Joao Silva zu. Dieser „toughest son of a bitch I ´ve ever met“ hatte noch angesichts der Tatsache, dass ihm 2010 in Afghanistan eine „sowjetische Antipersonenmine aus Plastik den rechten Unterschenkel, sein rechtes Knie und seinen linken Unterschenkel nimmt“, darüber hinaus den Unterleib öffnet, seine Harnröhre sowie Anus zerstört und seine Blase platzen lässt, noch die Kaltblütigkeit besessen, drei Fotos des Hergangs zu schießen und seine Frau anzurufen, bevor er in Ohnmacht fiel.
Heldentum und Eitelkeiten jedoch werden relativiert durch das Schlußinterview mit Don McCullin: „Als Kriegsreporter schläft man neben den Toten und lebt mit den Lebenden, die getötet werden“. Und er kennt die Fragwürdigkeit seines Tuns: Er will nicht Profiteur des Leids sein, weiß aber zu genau, dass ihm die Bilder halfen, ein Stück Land zu kaufen, „so groß, dass die Hügel am anderen Ende nur mit dem Feldstecher zu erkennen sind“.
Hartmut S. BĂĽhler, Fotograf
Fotos: www.ankerherz.de
Kritisch ĂĽber BILDERKRIEGER schreibt beispielsweise:
http://www.echo-online.de/freizeit/kunstkultur/literatur/Bilderkrieger-von-Michael-Kamber;art639,4249273
Links zum Thema:Â
http://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsberichterstattung
Literatur:
Rainer Fabian, Hans Christian Adam: Bilder vom Krieg. 130 Jahre Kriegsfotografie – eine Anklage. Gruner und Jahr, Hamburg 1983, ISBN 3-570-07013-1.
Robert Fox: Camera in Conflict. Könemann, Köln 1996, ISBN 3-89508-217-1.
Neil MacDonald, Peter Brune: 200 shots. Damien Parer, George Silk and the Australians at war in New Guinea. Allen & Unwin, St. Leonards, NSW 1999, ISBN 1-86448-912-X.
Zeitschrift Fotogeschichte: Themenheft Krieg und Fotografie. Heft 85/85, 2002.
Susan Sontag: Das Leiden anderer betrachten. Deutsch von Reinhard Kaiser. Hanser, MĂĽnchen/ Wien 2003, ISBN 3-446-20396-6.
Anton Holzer (Hrsg.): Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie. Jonas Verlag, Marburg 2003, ISBN 3-89445-324-9.
Gerhard Paul: Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Fink, München u.a. 2004, ISBN 3-506-71739-1.
Anton Holzer: Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Primus, Darmstadt, 3. Auflage 2012, ISBN 978-3-86312-032-0.
Michael Kirchdorfer: “Wahre Bildlegenden”: Eine Studie ĂĽber die interpretative Verwendung der Bildlegende im Kontext der postmodernen Kriegsfotografie. Masterarbeit, Universität Wien, 2010. (Abstract und Volltext)
Filme ĂĽber Kriegsfotografie:
Martin Luksan: Fotos von der Front. Die deutsche Kriegsfotografie im Zweiten Weltkrieg. (Erstsendung: 7. September 2009) ISBN 978-3-86569-094-4.
Solveig Grothe: Frühe Kriegsfotografie – Den Toten in die Augen sehen. auf einestages.