Die Auseinandersetzung mit dem Bild des Ruhrgebiets, das ja vornehmlich durch die Fotografie geprägt ist, hat inzwischen eine lange und auch viel diskutierte Tradition. Obwohl auch gerade der Blick von außen dazu taugt, die Region frisch und unvoreingenommen zu zeigen, suchen doch häufig genau diese Fotografen nach den allbekannten Klischees, nach den Zechen und den rauchenden Schloten, nach den Taubenvätern und dem Leben „anne Bude“. Und sie haben ja auch recht.
Die Industriekultur ist unser Alleinstellungsmerkmal – der Rest ist „Endlich so wie überall“ wie eine Ausstellung des Museum Folkwang schon 1987 zeigte. Die Fotografen dieses legendären Projektes kamen aus der Region, wenngleich auch längst nicht alle hier geboren waren.
Anders bei dem Kölner Fotografen Chargesheimer, der 1957 das Ruhrgebiet bereiste und fotografierte. Der daraus entstandene Bildband „Im Ruhrgebiet“ führte zu massivsten Protesten der Stadtoberen, die sich dieses Bild von außen nicht gefallen lassen wollten. Dabei war auch dies eine authentische und künstlerische und vor allem subjektive Sicht auf die Region. Bereits davor gab es viele Versuche die Region zu zeigen z. B. von Heinrich Hauser oder auch von Albert Renger-Patzsch.
Und ebenso danach gab und gibt es nahezu endlos viele Projekte und Arbeiten, die sich mit dem Bild der Region beschäftigten: wie Otto Steinert mit seinen Schülern, wie der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (später Kommunalverband Ruhrgebiet und jetzt Regionalverband Ruhr) mit Bänden wie „Ruhrgebiet – Porträt ohne Pathos“ oder auch das Projekt „24 Stunden Ruhrgebiet“, das Projekt „Lebensraum Ruhrgebiet“ der internationalen Fototage Herten, das Projekt „Schön ist es auch anderswo“ des Rheinischen Industriemuseums, die Ausstellungsreihe der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen zum Emscher Landschaftspark und die Kulturhauptstadt Ruhr 2010 mit „Ruhrblicke“.
Nach und nach entstanden aber auch parallel viele Arbeiten im Selbstauftrag. Zu nennen sind hier sicherlich Joachim Schumacher, Brigitte Kraemer, Manfred Vollmer, Wilhelm SchĂĽrmann, Michael Wolf, Wolfgang Staiger, Walter Vogel, Hans Rudolf Uthoff, Rudolf Holtappel, Horst Lang, Bernd Langmack und jetzt auch Thomas Solecki.
Alle diese Sichten sind anders. Und alle diese Sichten stimmen fĂĽr sich. Doch erst in der Zusammenschau schaffen sie so etwas wie Wahrheit. Jede neue Position macht das Gesamtbild deutlicher und erkenntnisreicher.
Dabei liefert die Region mit ihren Widersprüchlichkeiten, mit ihren Ecken und Kanten, mit ihrem Aufbau und Verfall immer wieder neue und andere Ansätze der Auseinandersetzung. Für uns, die wir hier leben, ist diese Auseinandersetzung wichtig, denn es geht um unsere Zukunft. Wohin soll sich diese Region mit ihrer Geschichte aus Stahl und Kohle entwickeln? Was ist unsere Zukunft und was unsere Identität? Die Frage nach Heimat ist nun, 70 Jahre nach Kriegsende in Deutschland und fast 60 Jahre nach dem Beginn der Kohlekrise, auch im Ruhrgebiet möglich.
Aber was genau ist diese Heimat? Was ist das Ruhrgebiet heute? Wie sieht sie aus, diese Landschaft Ruhrgebiet, die mehr Stadt ist als Land? Wo die Flüsse (noch) Abwasserkanäle sind und die Berge Halden – wo es Sümpfe gibt und Heidelandschaften und zunehmend modern gestaltete Parklandschaften neben leerstehenden Siedlungen? Wo an allen Ecken und Enden Fortschritt sichtbar wird und nebenan Stillstand und Zerfall?
Thomas Solecki ist einer dieser Fotografen, die sich auf den Weg machen, ein Bild ihrer Heimat zu entwerfen. Geboren in Wattenscheid und wohnhaft in Bochum, ist er Insider mit geschärftem Blick. “Fremdbild” nennt er seine fotografische Auseinandersetzung und Auswahl. Dabei versucht er durch Verfremdung dem fremden Bild von auĂźen seine subjektive Sicht entgegenzustellen – liebevoll, aber auch offen fĂĽr die Wunden aus Schrumpfung und Ăśberformung. Dabei spielt er mit dem Begriff der Realität. Obwohl die Orte real sind, erscheinen sie wie aus einem Traum oder aus der Erinnerung, sind fremd und vertraut zugleich.
Was bleibt, ist die Suche nach DEM Bild des Ruhrgebietes. Mit „Fremdbild“ liefert Thomas Solecki einen weiteren Zugang jenseits der Welt der Werbung.
Was wir daraus machen, liegt an uns.
Peter Liedtke, Februar 2015
Peter Liedtke hat den Text ” Das Bild des Ruhrgebiets – eine lange Geschichte!” als Vorwort zu dem 2015 herausgegebenen Buch “Fremdbild Ruhrgebiet” von Thomas Solecki geschrieben. Das Buch ist im Pixelprojekt_Ruhrgebiet bookshop (www.pixelprojekt-ruhrgebiet.de/de_DE/bookshop) erhältlich und kostet 24,90 Euro.
Peter Liedtke leitet das Pixelprojekt_Ruhrgebiet, die digitale Sammlung fotografischer Positionen als regionales Gedächtnis. Das Projekt sammelt Fotografien, die im Laufe von Jahrzehnten als Produkt der seriellen Auseinandersetzung einzelner Fotografinnen und Fotografen mit Themen der Region entstanden sind, ordnet diese Bildserien, bringt sie in eine thematische und chronologische Struktur und macht sie auf einer Internetseite überhaupt erst sichtbar. Im Laufe der Jahre entsteht so ein fotografisches Gedächtnis der Region, das Mythen einer vergangenen Zeit mit visionären Bildern des Kommenden in Beziehung setzt.