In wenigen Jahren wird der Bergbau im Ruhrgebiet Geschichte sein. Im kürzlich erschienenen Buch „ZECHENKINDER“ erzählen 25 Kumpel von der schwarzen Seele des Potts. Über Kameradschaft und Ellbogeneinsatz, von Maloche unter Tage, über den Willen zu überleben, die Liebe zur Schwermetall-Musik und den Fluch der Staublunge. Über eine Arbeiterwelt, in der das Wort “Arschloch” keine Beleidigung sein muss und ein gemeinsames Bier verdient sein will.
In “ZECHENKINDER” – erschienen im Ankerherz-Verlag – erzählt David Schraven (Leiter des Ressorts Recherche der WAZ-Mediengruppe, er wohnt im Schatten der Zeche Prosper Haniel in Bottrop) die Lebensläufe von 25 Bergleuten zwischen Pott-Poesie und Maloche. Zusätzlich demontiert er auch Kumpel-Klischees. Eines ist klar: die Geschichte Nordrhein-Westfalens und des Ruhrgebiets sind mit dem Bergbau und der damit verbundenen Arbeiterkultur untrennbar verknüpft.
Die journalistischen Portraits Schravens ergänzte der Duisburger Fotograf Uwe Weber (World Press Photo Winner 2011) mit Fotos in schwarzweiß. Doch diese Bilder sind nicht nur Fotos: es sind Zeugnisse eines Berufsstandes, der bald der Vergangenheit angehört.
Hartmut Bühler hat für ruhr.speak mit Uwe Weber über seine Arbeit für “ZECHENKINDER” gesprochen.
ruhr.speak: Der Beruf des Steigers ist mitunter gefährlich: dies trifft aber auch aufs Fotografieren unter Tage zu. Wer Verhaltensregeln missachtet, kann eine verheerende Explosion auslösen.
Uwe Weber: Meine erste Grubenfahrt habe ich ohne Kamera gemacht. Die komplette Kleidung inklusive Unterwäsche wird gestellt. Mobiltelefone, Kameras, Uhren, alles was ieine Explosion auslösen könnte, ist unter Tage verboten. Hochexplosives Methangas, auch Grubengas genannt, kann aus der Kohle entweichen und sich entzünden. Diese Explosion wirbelt dann den Kohlenstaub auf und es kommt zur fatalen Kettenreaktion, die ganze Bergwerke zerstören kann.
Mich hat diese Welt, teilweise 1.280 Meter unter der Erdoberfläche fasziniert und ich habe dann noch eine zweite Grubenfahrt mit einer “explosionsgeschützten” Kamera gemacht. Diese Kamera befindet sich in einem Unterwassergehäuse, das jedoch zusätzlich mit einem Anschluss für Stickstoff modifiziert ist. Unter der Kamera befindet sich ein Sensor der, falls das Gehäuse beschädigt wird oder die Dichtungen nicht halten, den Verlust des Gases registriert und sofort die Stromzufuhr der Kamera unterbricht. Zusätzlich hatte ich ein Einbein-Karbon-Stativ – Metall geht nicht wegen der Funkengefahr – mit, da ich nur mit Umgebungslicht gearbeitet habe. Unter Tage sowie auch über Tage.
ruhr.speak: Waren Sie der Initiator von ZECHENKINDER oder war es David Schraven?
Uwe Weber: Stefan Krücken hatte die Idee, ein Buch über Bergmänner für den Ankerherz-Verlag zu machen, als Helden des Alltags. Im Gespräch zwischen Stefan Krücken (Verleger) und David Schraven (Autor) wurde es dann konkret. Welche Leute muss man nehmen, welche Haltung muss es im Buch geben, was kann das Thema sein, wie muss der Fokus gesetzt werden, was können Themen sein und wie müssen Fotos ausfallen, damit es ein Ganzes wird. Stefan Krücken gefielen meine Bilder aus dem Ruhrgebiet (“Mensch-Bruckhausen”) und hat mich gefragt. ob ich die Bilder machen könnte.
ruhr.speak: In welchem Zeitraum entstanden die Fotos?
Uwe Weber: In einem Zeitraum von etwa vier Monaten.
ruhr.speak: Ich sehe keine einzige Kohle(n) in den Portraits (in der Eingangsreportage ja) – ist das absichtlich geschehen, um Klischees zu vermeiden?
Uwe Weber: Nein, ich habe gar nicht daran gedacht, Bergleute in Verbindung mit Kohle zu zeigen. Mir war wichtig, dass ich mit den Fotos auf die Geschichte der Protagonisten eingehe. Das war nicht immer möglich, aber auf allen Portraits sind Zechenhintergründe oder Relikte aus dem Steinkohle-Bergbau zusehen. Die Interviews lagen ja schon teilweise vor, was die Fotografie erleichterte. Lutz Backhaus, der Held von Sterkrade, der einen Amokläufer gestoppt hatte, war der erste, den ich fotografiert habe. Ich habe ihn in seiner Kampfsportschule besucht und wir haben über die Geschichte geredet. Lutz hatte Zeit und wir sind zu der Stelle in Oberhausen gefahren, an der er den Amokläufer gestoppt hat. Dort habe ich ihn abgelichtet. Allerdings wollte ich nicht voyeuristisch porträtieren. Mein Fokus liegt auf der Person, während die Fußgängerzone in Unschärfe verschwindet.
ruhr.speak: Wird es eine Wanderausstellung mit den Fotos geben – wird ein Museum die Bilder ankaufen oder werden Sie sie einem Bergbaumuseum stiften oder als Dauerleihgabe überlassen?
Uwe Weber: Nach der ersten Lesung im Mallakowtum mit Ralf Richter gab es seitens der RAG eine Anfrage, die Bilder auf einer internen Betriebsratversammlung zeigen zu dürfen. Weitere Anfragen gab es bisher nicht und ich habe mir ehrlich gesagt auch noch keine Gedanken darüber gemacht. Es wird aber noch weitere Lesungen geben. Dort werden dann die Bilder gezeigt, auch Bilder, die nicht im Buch sind und die auch noch nicht veröffentlicht wurden.
ruhr.speak: Welche Herausforderungen stellten sich bei den Aufnahmen? Welche “lustige Begebenheiten” gab es während der Portraittermine?
Uwe Weber: Eine Herausforderung war sicherlich die Geschichte mit Frank Sommer, der 1997 eine Protestfahrt mit Motorradfahrern nach Bonn organisiert hat. Ich fand die Geschichte großartig und wollte sie zumindest ansatzweise nachstellen. Nachdem ich Sommer von meinem Vorhaben berichtet hatte, meinte er: „Gib mir mal ein paar Tage Zeit.“ Er hielt Wort und rief mich drei Tage später an: „Sind 200 Bikes genug?“ Wir sind dann mit 200 Bikern von der Zeche in Bottrop nach Gelsenkirchen gefahren, um an einer DGB Kundgebung teilzunehmen. Natürlich muss man so eine Fahrt polizeilich genehmigen lassen, denn ein so großer Tross von Bikern würde unweigerlich durch die Schaltung von Ampeln getrennt. Ich bin dann früh morgens zum Einsatzleiter gegangen, habe ihm gesagt, worum es bei der Fahrt geht und dass Frank Sommer die Hauptperson ist und vorweg fährt. Ich fotografiere liegend aus der offenen Heckklappe eines Jeeps. Er meinte dann: “Sie liegen dort und fotografieren während der Fahrt aus der geöffneten Heckklappe nach hinten?” Ich so: “Genau so isses”. “Dann halt Dich mal gut fest” war die Antwort. Wir sind dann ohne Probleme bis nach Gelsenkirchen gefahren. Mehrere Polizeimotorräder haben die Seitenstraßen blockiert und wir konnten so ungehindert durchfahren, auch über rote Ampeln.
ruhr.speak: Besuchten Sie beide jeweils zusammen bei den einzelnen Portraitierten oder getrennt?
Uwe Weber: Wir waren nie zusammen unterwegs, was auch nicht notwendig ist. Ich hatte Einblick in die Interviews und wußte, worauf es ankommt. Ich glaube, es ist für die jeweilige Arbeit, fotografisch wie auch journalistisch, nicht besonders förderlich, wenn man zusammen zum Termin erscheint. So kann sich jeder voll auf seine Arbeit konzentrieren. Ich habe früher viele Fotos bei Interviewterminen gemacht. Dort war dann immer ein Redakteur dabei. Viele Künstler haben aber wenig Zeit und wenn das Interview oder die Fotosession mal etwas länger dauert wie geplant, haben der Kollege oder ich halt weniger Zeit für seine Arbeit.
ruhr.speak: Wie viele Kontakte gab es insgesamt bzw. nach welchen Kriterien wurden die 25 ausgewählt?
Uwe Weber: Es gab, soviel wie ich weiß, nur diese Kontakte. Die Personen wurden anhand der Geschichten ausgewählt.
ruhr.speak:Warum sind die Fotos auf den Seiten 40 und 48 Doubletten, wie konnte das passieren?
Uwe Weber: Die beiden haben zusammen gearbeitet, wohnen nebeneinander und fahren auch gemeinsam in Urlaub. Zudem haben beide den gleichen Vornamen: Theo. Die Gemeinsamkeit auf dem Foto ist die Steigeruniform, was beide verbindet.
Über “ZECHENKINDER”:
Das Spektrum der 25 Erwählten erstreckt sich vom Aufsichtshauer und “Helden von Sterkrade” Lutz Backhaus bis zum Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Ludwig Ladzinski, vom Sprengsteiger Theo Skowronek über den Grubenwehr Truppführer Theo Körner bis hin zu Thomas Such alias Tom Angelripper, dem Gründer der international bekannten Thrash-Metalband Sodom.
Ungeschliffen, kraftvoll, ungekünstelt – Menschen aus dem Ruhrgebiet. Die Aufrichtigkeit der Kumpel bleibt Inspiration für Generationen, die den Bergbau nicht mehr erleben werden.
Aus dem Vorwort: … „Die letzte Bottroper Zeche wird 2018 abgeworfen. Das Leben der Bergleute bleibt.
Ich wollte das Weiße zeigen und das Schwarze und die Grautöne dazwischen.“
Links zum Thema:
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/buch-zechenkinder-biographien-zwischen-bergbau-und-bottrop-a-938313.html
http://www.derwesten.de/staedte/bottrop/bergleute-erzaehlen-25-geschichten-id8739156.html
http://forum.spiegel.de/f22/biographien-sammlung-zechenkinder-ueber-leben-unter-tage-109515-2.html
http://www.stadt-panorama.de/ralle-und-die-letzten-berchmaenner/
http://www.ankerherz.de/produkte/zechenkinder/
zur Historie des Bergbaus: http://de.wikipedia.org/wiki/Ruhrbergbau
zu Uwe Weber: http://www.zeitraster.de/about-me/
Text und Interview: Hartmut S. Bühler, Fotograf
Fotos: Uwe Weber