Marons Bilder sind intim gehalten, überschreiten nie eine Schamgrenze. Mutters Würde bleibt stets be- und gewahrt. Die Serie „Ein Leben“ ist wie eine traurig-wunderbare Balance aus Erinnerung, Würdigung und dem Versuch, einen geliebten Menschen mittels Fotografie unsterblich zu machen. Genau zehn Jahre nach dem Tod von Margarete Maron 2002 im Alter von 82 Jahren wird „Ein Leben“ nun der Öffentlichkeit vorgestellt.
Ums Bewahren ging es auch im echten Leben von Prof. Marons Mutter: Eine Wegwerfmentaliät war der Ehefrau eines Diplomaten und Mutter zweier Kinder fremd. Das Auf- und Bewahren, das Reparieren von Alltagswerkzeugen bzw. Haushaltsgegenständen selbstverständlich. Marons Kamerablick dokumentiert daher auch die Lebenswelt einer Zeitzeugin (geb. 1920) des Zweiten Weltkriegs.
Maron erzählt in seinem Fotobuch „Ein Leben“, wie alles begann. „1997 bat meine Mutter mich, sie zum Augenarzt nach Bonn zu bringen und wieder abzuholen. Sie sollte durch eine Laseroperation den Grauen Star beheben lassen. Ich willigte sofort ein und begleitete sie am Tage der Operation, die nach anderthalb Stunden überstanden war. Sie trug eine dunkle Augenbinde, die ich als Metapher ihrer Verletzlichkeit wahrnahm… Zu Hause angekommen, machte ich das erste Porträt meiner Mutter. Dann kümmerte ich mich um das Abendessen… Ich hatte im Vorratskeller und in der Waschküche zu tun, und beim Herausgehen aus dieser bot sich mir ein Bild an, das das zweite in der Reihe sein würde, die sich zu dem nun gut 250 Bilder umfassenden Werk ´Ein Leben´ entwickeln sollte.
Es war der Blick durch die geriffelte Glasscheibe der Waschküchentür, umgeben vom Grau der Türrahmenlackierung, der mich auratisch gefangen nahm: durch die Tür hindurch sah ich den pastellfarbenen Kittel meiner Mutter, der die plastische Form ihres Körpers angenommen hatte und ihren roten Wollschal als ein Bild.“
Als Margarete Maron an einer Form des Knochenmarkkrebs erkrankt, verfällt die zarte Person innerhalb weniger Monate. Sie magert ab, Erschöpfungszustände mehren sich. Eines der letzten Bilder zeigt die Mutter, gestützt auf ein Kissen im Bett. Diese Fotografie ist verschwommen. Es ist, als löse sich die Abgebildete auf.
„Ein Leben“ berührt, es ist ein Thema, das jeden von uns angeht. Walther König, der bekannte Kölner Buchhändler und Verleger sei beim Betrachten der Fotos stark gerührt gewesen. Eine Reaktion, die angesichts der einfühlsamen Umsetzung und überragenden fotografisch-künstlerischen Qualität des Maron-Langzeitprojekts nur zu verständlich ist.
Unverständlich die Tatsache, dass nicht wenigstens einige Motive der Fotoserie „Ein Leben“ von Knut Wolfgang Maron in der aktuellen Gruppenausstellung „Privat – Das Ende der Intimität“ in Frankfurts Schirn Kunsthalle hängen. Ist es Ignoranz, sind Knut Wolfgang Marons eindrücklichen Bilder der letzten Lebensjahre seiner Mutter nicht „spektakulär“ genug?
Es ist, als wäre ein Gegenpol zu den eher schamlos-verstörenden Darstellungen in Frankfurt unerwünscht, weil “Privatheit war gestern. In der heutigen Zeit ist das Ende der Privatsphäre angekommen. Voyeurismus, Exhibitionismus und Zeigefreude sind mittlerweile soziale Strategien unserer Zeit”, so Schirn-Direktor Max Hollein in seiner Eröffnungsrede.
Sei´s drum, stattdessen kommt dafür Nordrhein-Westfalen in den Genuss, 170 Farbfotografien diskreter „wunderbarer und nicht benennbarer Intimität“ – so Knut Wolfgang Maron – zu genießen: ab 18. November 2012 bis 13. Januar 2013 im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr. Die Eröffnung findet am Samstag, 17. November um 17 Uhr statt.
© Text und Portraitfoto von Knut Wolfgang Maron: Hartmut S. Bühler
Alle anderen Bilder: © Knut Wolfgang Maron
Die komplette Serie umfasst 250 analog erzeugte Bilder – es sind Handabzüge des Künstlers im Format 60 x 90 Zentimeter. Sie entstanden innerhalb von sieben Jahren, wobei zigtausende Auslösungen getätigt wurden.
Der 1954 in Bonn geborene Knut Wolfgang Maron lebt und arbeitet in Essen, Berlin und Wismar. Von 1977 bis 1983 studierte er visuelle Kommunikation und Fotografie bei Otto Steinert und Erich vom Endt an der Folkwang Hochschule in Essen. Er lebte mehrere Jahre in Paris und hat seit 1993 eine Professur an der Hochschule in Wismar inne. In der Art der Bildkomposition sieht sich Maron bis heute dem von Otto Steinert begründeten Konzept der Subjektiven Fotografie verpflichtet. Zur Ausstellung ist ein von Volker Heinze in Zusammenarbeit mit Knut Wolfgang Maron gestalteter Katalog im Kerber Verlag erschienen. Er ist für 25 Euro im Museum erhältlich.