Florian Ebner, Leiter der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang in Essen, wurde für 2015 als Kurator des Deutschen Pavillons bei der Venedig Biennale berufen. Anfang Februar hat er bei einer Pressekonferenz in Berlin die Künstlerinnen und Künstler vorgestellt, mit denen er vom 9. Mai bis 22. September den traditionsreichen Ort in Venedig gestalten will, und in einem “Protokoll vom Rande des Weges” sein kuratorisches Konzept skizziert.
Florian Ebner. Foto: Melanie Kemner
“Der Pavillon als eine Fabrik, eine imaginäre, verschwundene, virtuelle Fabrik, als eine Fabrik der politischen Erzählungen und der Analyse unserer Bildkultur”
“Auf dem Weg von der Einladung an Künstler, über Ideen zu Arbeiten, ersten Phasen der Realisierung hin zur fertigen Ausstellung rückt jetzt die Architektur des Pavillonsselbst mehr und mehr in den Mittelpunkt. Schon oft diente der Deutsche Pavillon als ein künstlerischer Echoraum deutscher Geschichte und Identität. In diesem Jahr ist der große stille Raum mit seiner enormen Höhe und dem entsprechenden Volumen ein Resonanzraum, in dem der Produktionstakt einer globalisierten Welt zu vernehmen ist. Ausgehend von ihrer unterschiedlichen Reflexion der Begriffe Arbeit, Migration und Revolte verwandeln die vier künstlerischen Positionen das Gebäude in eine Fabrik, in eine imaginäre, verschwundene, virtuelle Fabrik, in eine Fabrik der politischen Erzählungen und der Analyse unserer Bildkultur.
Die Akteure, die die Arbeiten von Olaf Nicolai, Hito Steyerl, Tobias Zielony und des Künstlerpaars Jasmina Metwaly / Philip Rizk bevölkern, sind Figuren des Aufbegehrens und der Revolte. In allen vier Arbeiten begegnen sie uns, seien sie theatralischer, fotografischer, filmischer, virtueller und oder leibhaftiger Natur. Für diesen Pavillon des Aufbegehrens und der widerständigen Bilder stellt die vertikale Interpretation und Nutzung des Gebäudes gleich mehrere Bühnen bereit: von einer Art Basement bis hin zum Dach. Nicht zuletzt erscheint das Dach als Heterotopie, als ein „anderer Ort“, an dem sich Freiheit denken lässt.
Olaf Nicolai setzt das Dach als Schauplatz einer sieben Monate andauernden Aktion in Szene. Seine Protagonisten gehen dort einer rätselhaften Tätigkeit nach, einer Schattenökonomie unter gleißender Sonne. Die Choreografie seiner Figuren changiert zwischen funktionaler Handlung (der tatsächlichen Herstellung eines Objekts) und der ästhetischen Dimension dieses Tuns .
Hito Steyerls Videoinstallation „Factory of the Sun“ zeigt eine Welt in Aufruhr und eine Bilderwelt im Aufbruch. In ihr geht es um die Übersetzung realer politischer Figuren in virtuelle Figuren, um eine neuartige Erfahrung des Bildermachens und Erlebens zwischen dokumentarischer Haltung und völliger Virtualität. Das neue „digitale Licht“ ist das zentrale Medium des Transfers von den Resten des Realen in eine zirkulierende, digitale Bildkultur.Tobias Zielonys dokumentarischer Essay setzt sich mit der Situation afrikanischer Migranten und Refugees in Deutschland auseinander. Anstelle einer Reise nach Lampedusa, sowie sie viele Medienvertreter (und auch Künstler) unternommen haben, widmet sich Zielony der aktivistischen Szene in Berlin und Hamburg, zeichnet die Wege, Schicksale und Haltungen dieser Menschen nach, arbeitet mit ihnen an ihrer Selbstdarstellung nicht ohne dies im Weiteren zur Diskussion zu stellen.
Ein filmisch-experimentelles Kammerspiel ist die Videoinstallation von Jasmina Metwaly und Philip Rizk. Für ihr Filmprojekt „Out on the Street“ hat das Künstlerpaar Kairoer Arbeiter und Arbeitslose in ein improvisiertes Studio auf dem Dach eines Wohnblocks eingeladen, um dort ihre eigene Geschichte von den Herrschaftsverhältnissen anhand einer privatisierten und abgewickelten Fabrik zu erzählen.
Nicht zuletzt lässt sich der Pavillon aber auch als eine Parabel für die Metamorphose von Bildern lesen, von Bildern im Sinne der klassischen Aufzeichnung (Recording) hin zur Generierung, Verarbeitung und Projektion von Bildern. Aber auch als Statement zu einem veränderten Gebrauch der Bilder, der die Grenzen zwischen Dokument, Zeugenschaft und
Fiktion verwischt.”
ruhr.speak zitiert Florian Ebners Text ergänzt durch Fundstellen im Netz, um seinen Ansatz bekannt zu machen und zur Diskussion zu stellen. Seine Berufung als Kurator des Deutschen Pavillions und die finanzielle Unterstützung, die er dafür aus dem Ruhrgebiet erhält, verweisen auf die besondere Wertschätzung, die die Fotografie innerhalb und außerhalb der Region erfährt – nicht immer offensichtlich und für jeden spürbar. Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die RWE Stiftung und die Stiftung Mercator fördern die Ausstellung mit insgesamt 150.000 Euro.
www.deutscher-pavillon.org/2015
Kommentierender Bericht von Christiane Hoffmans für Die Welt:
www.welt.de
Interview mit Florian Ebner von Heike Mund für Deutsche Welle:
www.dw.de
Redaktion: Martina Kötters