Einsam und wie verloren steht er da auf dem Hans-Schalla-Platz/Königsallee 15 in Bochum: der kleine grüne Container vor dem Schauspielhaus Bochum. Die meisten Passanten eilen am DETROIT-PROJEKT – THIS IS NOT DETROIT-Kunstprojekt vorbei. Dabei ist die Fotoausstellung “Abbruch Aufbruch” von Martin Steffen im Innern des Containers sehenswert und gleichzeitig sein ganz persönlicher Beitrag zur aktuellen Stadtgeschichte in der gegenwärtigen Krise.
“Bochum ist Opel und Opel ist Bochum!” – so beschreibt Herbert Grönemeyer das Verhältnis seiner Heimatstadt zur Autofabrik. In den 70er Jahren, als 22.000 Menschen im Werk arbeiteten, drückte sich darin der Stolz und das Selbstverständnis der Stadt aus. Heute jedoch sieht Bochum der Schließung des Werkes entgegen: Das Ende einer Ära steht bevor. Damit gehen nicht nur Arbeitsplätze verloren, auch die Identität einer ganzen Stadt wird nicht mehr dieselbe sein. Doch wenn Bochum nicht mehr Opel ist – was wird es dann in Zukunft sein?
Im Oktober 2013 wurde im Schauspielhaus Bochum DAS DETROIT-PROJEKT eröffnet, ein einjähriges Stadt- und Kunstfestival von Schauspielhaus Bochum und Urbane Künste Ruhr. Gemeinsam mit drei weiteren europäischen Opel-Städten in Polen (Gliwice: 3.000 Beschäftigte), Spanien (Saragossa: 6.500) und Großbritannien (Ellesmere Port: 2.100) möchte das Projekt der Abwanderung der Industrie trotzen und zukunftsweisende Alternativen für Bochum und das Ruhrgebiet aufzeigen. Dabei spielen die Bochumer Bürger eine zentrale Rolle. Mit ihnen zusammen werden im Laufe des Jahres verschiedene (Kunst-)Projekte initiiert. Weitere Opel-Standorte in Europa sind in Polen (Tychy 550 Beschäftigte), Österreich (Aspern: 1.600), Ungarn (Szentgotthárd: 750) und Großbritannien (Luton: 1.100 Mitarbeiter).
Ein Kunst-Projekt wurde am 17. Januar begonnen: Vor dem Schauspielhaus steht bis Anfang Juli ein Container, in dem im Rahmen des DETROIT-PROJEKTS verschiedene Aktionen durchgeführt werden. Den Auftakt macht der Bochumer Fotograf Martin Steffen mit seiner Ausstellung “Abbruch Aufbruch”. Mit der Kamera begab sich Steffen (* 1967) auf die Suche nach Orten in Bochum, die Wandel und Umbrüche in der Stadt offenlegen. 20 seiner Fotografien werden in der Container-Galerie gezeigt. Steffen wurde mit dem “Bochumer Kreativ Award 2013” ausgezeichnet, er assistierte Jim Rakete und gewann 1991 den Reinhart-Wolf-Preis.
Martin Steffen über seine Fotoserie:
“Hier ist nicht Detroit. Hier wird abgerissen und Platz geschaffen. Für Aufbrüche? Diese Serie zeigt Orte in Bochum, die gerade verändert werden. Zum Beispiel die Kosterstraße, die verbreitert wird, 20 Jahre nachdem die Henrichshütte geschlossen wurde, oder den Gesundheitscampus an der Ruhr-Universität.
Abbruch ist hässlich, chaotisch, unordentlich, gewalttätig. Macht auch Angst. Aber Scheiße am richtigen Ort ist Dünger. Oft ist das Neue noch nicht erkennbar. Ich habe mehr Fragen als Antworten.
Ist es schlimm, wenn Bochum schrumpft? Ist dann nicht mehr Platz für alle da? Oder geht alles den Bach runter, wenn es nicht wächst? Was machen die, die zu jung für den Ruhestand, aber zu alt für Neuanfänge sind? Brauchen wir ständiges Wachstum? Wird eine Zeit ohne Industrie kommen? Ist das eine Chance für neue Qualitäten oder geht es nicht ohne? Was kommt vielleicht schon jetzt? Bildung? Kultur? Tourismus? Kreativquartiere? Können wir davon leben? Können wir den Wandel selbst gestalten oder sind wir globalen Zwängen ausgeliefert? Oder ziehen wir besser alle um?”
Die Bilder in weißen Rahmen an den schlichten Sperrholzwänden zeigen eine Motivemixtur aus Abbruchbauarbeiten, Baufahrzeugen, Autos, absichtlich unscharfen Portraits und der sinnigen Wortebeziehung Opel – SONNE.
Mehr zum Thema „This is not Detroit“ ist auf 16 Seiten Text und Fotos im Spielzeitmagazin 2013/2014 des Schauspielhauses Bochum zu lesen. Darüber hinaus sind im Spielzeitmagazin die sw-Portraits des derzeitigen Schauspielhaus-Ensembles, fotografiert von Martin Steffen abgedruckt.
Ausstellung
Martin Steffen – “Abbruch Aufbruch”
Öffnungszeiten:
täglich 10.00-18.00 Uhr und vor den Aufführungen im Schauspielhaus
Eintritt frei, auch für alle kommenden Aktionen
Weitere Informationen auf der Website des Schauspielhauses:
Aufruf zum Fotowettbewerb „Das Detroit-Projekt“
Über die Fotoausstellung von Martin Steffen
Veranstaltung zum Detroit Projekt
auf www.trailer-ruhr.de: Gespräch mit den Dramaturgen Sabine Reich und Olaf Kröck
Hintergrund zu General Motors, Bochum und Opel
Vom 13. bis 26. Januar 2014 war Detroit Mittelpunkt der automobilen Welt. Während der North American International Auto Show hatten die “Big Three” der US-Autobauer, Chrysler, Ford und General Motors faktisch Heimspiele. Vor allem General Motors sorgte für Gesprächsstoff. Denn die Nummer eins im US-Autobau wird ab sofort von Mary Teresa Barra geführt. Die Konzernlenkerin, 51, präsentierte denn auch den neuen GMC Canyon, ein Schwestermodell des Chevrolet Colorado. Damit will Barra das Midsize-Segment der Pick-up Modelle in den USA wiederbeleben.
Doch was geschieht mit Opel, in Europa die Hauptmarke von GM und seinen Standorten Eisenach, Kaiserslautern, Rüsselsheim und Bochum? Etwa 22.000 Beschäftigte bangen um ihre Arbeitsplätze. Düster sieht es in Bochum aus: das Werk wird 2014 geschlossen. Am 27. Januar besuchte Barra Rüsselsheim und sagte: “Opel ist eindeutig ein lebenswichtiger Teil unseres Unternehmens”. Während Hessen aufatmet, werden in NRW-Bochum die Scheinwerfer ausgeschaltet.
Zum künftigen Schicksal der Opelaner in Bochum: IG Metall, Betriebsrat und Opel-Vorstand haben die Eckdaten für einen Sozialtarifvertrag für den Standort BO geschnürt.
Dieser schreibt zwar das endgültige Aus der Fahrzeugproduktion zum 31. Dezember 2014 fest, bietet aber einige Perspektiven. Dazu gehört der Fortbestand und Ausbau des europäischen Warenverteilzentrums in Werk III mit seinen 430 Beschäftigten über das Jahr 2016 hinaus; damit verbunden sind Investitionen von 60 Millionen Euro. 265 Opelaner können ins Werk III wechseln, 200 weitere nach Eisenach oder Rüsselsheim gehen. Für 700 Leute gibt es eine Altersbrücke in die Rente und für etwa 1700 Beschäftigte die Wahl zwischen einer Abfindung oder der Chance, sich von 2015 an in einer Transfergesellschaft weiter zu qualifizieren. 171 Auszubildende beenden ihre Ausbildung, weitere 40 werden neu anfangen. Aus dem Unternehmen ist zu hören, es werde Kooperationen mit namhaften Unternehmen geben, um Opelanern eine neue Perspektive zu unterbreiten. So sei die Deutsche Bahn an Beschäftigen aus Bochum interessiert (Stand: 28. Januar 2014).
Text und Ausstellungsfotos: Hartmut S. Bühler, Fotograf