Gleich gegenüber dem historischen Rathaus, Bremens touristischem Hotspot, liegt die Böttcherstraße – ein kleines Gewirr aus Gängen zwischen expressionistisch anmutenden Backstein-Gebäuden mit Kuppeln und Türmen, Ecken und Kanten, Läden mit Kunsthandwerk und Restaurants. Die Kulturinteressierten unter den Touristen finden mittendrin den Eingang und die geschwungene Treppe zum Paula Modersohn-Becker Museum, das aktuell eine Retrospektive zum Werk der Fotografin Eva Besnyö (1910 – 2003) zeigt. Zu sehen ist ein Rückblick auf ein langes, selbstbestimmtes Künstlerinnen-Leben.
Als 18-jährige entdeckte Eva Besnyös während ihrer Ausbildungszeit zur Fotografin in Budapest das Foto-Buch „Die Welt ist schön“ von Albert Renger-Patzsch (1889-1966). Dessen neue, moderne Auffassung von Fotografie gibt den Anstoß für Besnyös eigene fotografische Arbeit. Sie erkundet ungewöhnliche Motive: glänzende Tomaten in einem Korb, Lastenträger bei der Arbeit im Hafen, das Schattenspiel von Blättern auf einem Weg.
Anfang der 30er Jahre mit knapp 20 Jahren der entscheidende Schritt: Eva Besnyö geht ihren eigenen, unabhängigen Weg und zieht nach Berlin, wo sie in einem Atelier für Auftragsfotografie beruflich Fuß fasst und später ein eigenes Atelier eröffnet. Erste wichtige Arbeiten entstehen. Sie experimentiert mit den neuen Möglichkeiten: Detailansichten, Berliner Straßenszenen, Portraits, ungewöhnliche Perspektiven, Licht und Schatten.

Eva Besnyö, Starnberger Straße, Berlin, 1931, Silbergelatine © Eva Besnyö / MAI
Schon 1932 erkennt sie, dass sie u. a. wegen ihrer jüdischen Herkunft nicht in Deutschland bleiben kann und geht mit ihrem späteren Ehemann John Fernhout nach Amsterdam. Sie hat fast unmittelbar Erfolg mit einer Einzelausstellung mit 40 Fotos bei Carel van Lier, einem Kunsthändler und Galeristen.
In der Folge baut sie sich vor allem mit Architektur- und Portraitfotografie eine neue, finanziell abgesicherte Existenz auf.

Eva Besnyö, Kantine der AVRO-Studios, Hilversum, 1936, Silbergelatine Vintage © Eva Besnyö / MAI

Eva Besnyö, Narda, Amsterdam, 1937, Silbergelatine © Eva Besnyö / MAI
Ab 1942 überlebt Eva Besnyö in einem Versteck und mit Hilfe von Freunden Besatzung, Verfolgung, Zerstörung und Krieg in Holland.
In den 50er und 60er Jahren tritt Eva Besnyö wenig in der Öffentlichkeit hervor. Sie hat zusammen mit ihrem zweiten Ehemann eine Familie gegründet und fotografiert u.a. die Künstlerinnen und Künstler in ihrem Umfeld.
International erfährt ihr Werk Anerkennung: Ihre Arbeit “Näherin” von 1953 wird in Ausstellung und Katalog von Edward Steichens “The Family of Man” aufgenommen. Sie nimmt teil an der Ausstellung Post-war European Photography im Museum of Modern Art in New York.
Aber dann, in den 70er Jahren, wird sie zur bekannten Fotografin der Frauenbewegung in den Niederlanden. Sie begleitet und dokumentiert den Kampf der “Dollen Minas”, die sich mit spektakulären Aktionen für die Rechte der Frauen einsetzen.
2003 stirbt Eva Besnyö über 90-jährig in Hilversum in einem Wohn- und Arbeitszentrum für ältere Künstlerinnen. In den Jahren zuvor hat sie ihren Nachlass gesichtet und geordnet, begleitet vom niederländischen Filmemacher Leo Erken. Entstanden ist der berührende biografische Film “De Keurcollectie” (2002), der in der Ausstellung gezeigt wird.
Im Film ist Eva Besnyö zu sehen, wie sie ihre Arbeiten kritisch beurteilt und die ein oder andere kurzerhand zerreißt.

Eva Besnyö, Strandbad Wannsee, Berlin, 1931, Silbergelatine © Eva Besnyö / MAI
Über die Ausstellung:
Die Ausstellung “Eva Besnyö – Photographin – Budapest.Berlin.Amsterdam” folgt in vier Sälen des Museums den wichtigen Stationen in Eva Besnyös Leben. Zu sehen sind überwiegend Originalabzüge aus dem Nachlass, begleitet von ausführlichen Infotafeln zu Lebensdaten und fotografischer Arbeit.
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Käthe Kollwitz Museum in Köln.

Blick in einen Ausstellungsraum des Paula Modersohn-Becker Museums. Foto: MK
Das Paula Modersohn-Becker Museum setzt mit der Besnyö-Ausstellung seine Reihe mit Fotografinnen des 20. Jahrhunderts fort und möchte so unentdeckte bzw. aus der kunsthistorischen und musealen Aufmerksamkeit geratene Fotografinnen vorstellen. Das Paula Modersohn-Becker Museum ist das erste Museum weltweit, das mit seiner Gründung 1927 dem Werk einer Malerin gewidmet wurde.
Die erste Ausstellung der Reihe mit Fotografinnen war 2017 Annelise Kretschmar (1922 bis 1975) gewidmet. Die gebürtige Dortmunderin eröffnete als eine der ersten Frauen ein Fotostudio in Deutschland. Sie wurde 1982 und 2003 mit Einzelausstellungen im Essener Museum Folkwang und im Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund gewürdigt. (lt. Eintrag Wikipedia)
Auch Arbeiten von Eva Besnyö waren bereits im Museum Folkwang zu sehen – 1994 in der Ausstellung “Photographieren heißt teilnehmen. Photographinnen der Weimarer Republik”.
Text: Martina Kötters
“Eva Besnyö – Photographin – Budapest.Berlin.Amsterdam”
noch bis 22. April
Paula Modersohn-Becker Museum
Böttcherstraße 6–10
28195 Bremen
www.museen-boettcherstrasse.de
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Eva Besnyö, Violette Cornelius, Fotografin, Keizersgracht 522, Amsterdam, 1938, Silbergelatine © Eva Besnyö / MAI