Adolf Winkelmann, Filmemacher, Regisseur und Autor, hat „Fliegende Bilder“ für die Dachkrone des Dortmunder U erfunden – und erfindet sie immer wieder neu. Im Freitagsprogramm der Messe bild.sprachen am 28. September wird er sein erfolgreiches Projekt im Programmteil „Fotos lernen laufen, Filme stehen“ vorstellen. Peter Liedtke hat ihn für ruhr.speak befragt.
ruhr.speak: Sie sind bekannt geworden mit Spielfilmen wie: “Nordkurve”, “Die Abfahrer” und “Jede Menge Kohle” und zuletzt auch mit Ihrem Fernsehfilm “Contergan”. In Ihrer Installation “Fliegende Bilder” für das Dortmunder U arbeiten Sie nun aber mit eher „stehenden Bildern“. Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen?
Adolf Winkelmann: Es ist offensichtlich, dass sich die Art wie wir die Welt – und uns selbst – sehen und zeigen durch die Digitalität der Bilder drastisch verändert hat. Dieser Wandel unserer Bildmedien ist tiefgreifender als alles bisher da gewesene. Wir alle zusammen, jeder einzelne als Produzent und Konsument sind dabei, die inzwischen ununterscheidbaren Medien Film und Fotografie völlig neu zu erfinden. Und da ich es schon immer reizvoll fand, die Fortentwicklung meines Mediums Film mit künstlerischen Strategien zu verfolgen und in glücklichen Momenten sogar ein Stück voranzutreiben, habe ich angefangen, mich für Film jenseits von Kino und Fernsehen zu befassen. Vielleicht um diesem Veränderungsprozess, der zunächst einmal ein technischer ist, nicht einfach ausgeliefert zu sein. Oder einfach um zu lernen, mich jenseits von Konventionen in der neuen Bilderflut zu bewegen.
Bei der Bilder-Uhr am Dortmunder U geht es aber eindeutig nicht um Standbilder, es geht um bewegte Bilder, also Film. Allerdings ohne die Errungenschaften des Erzählkinos. Keine Kamerabewegung, keine Montage, kein Ton. Die Abwesenheit eines geschlossenen, dunklen Kinoraums erzeugt nahezu zwangsläufig diesen formal strengen Umgang mit dem Medium.
Die Filme von denen hier die Rede ist, sind in die architektonische Struktur der Dachkrone des Dortmunder U integriert. Die Installation ist kein Kino, nicht nur, weil sie sich technischen Normen und gängigen Formaten entzieht und sie für das Abspielen herkömmlicher Filme nicht geeignet ist. Die Bilder-Uhr ist auch kein Event, keine Show, wird nicht zu einem bestimmten Termin gezeigt. Sie ist permanenter Prozess und hat ihre eigenen Rezeptionsbedingungen. Jeder Betrachter hat seinen persönlichen Moment, für sehr kurze Zeit auf den Turm zu schauen. Viele tun dies regelmäßig, etwa auf dem Weg zur Arbeit, andere unregelmäßig und eher zufällig. Allen gemeinsam ist, dass sie, wenn das erste Erstaunen über leuchtende Bilder an einem ungewöhnlichen Ort vergangen ist, unwillkürlich beginnen, die gesehenen Fragmente zu interpretieren, zu benennen und selbstständig zu einer Bilderwelt, einem Film im Kopf zusammenzusetzen. Dieser Prozess braucht Jahre und ist nicht eine Frage von Tagen oder Monaten. Ein extremer Zeitlupenfilm sozusagen.
ruhr.speak: Die Installation “Fliegende Bilder” würde ich als Kunstinstallation bezeichnen. Sie wird allerdings für die Imagebildung des Dortmunder U und der Stadt benutzt. Sehen Sie darin einen Widerspruch zur hehren Kunst?
Adolf Winkelmann: Wenn Sie Missbrauch vermuten, kann ich Ihnen getrost widersprechen. Niemand außer mir hat Einfluss auf die Bilder am Turm, kein Kurator und schon gar nicht Politiker oder Interessenvertreter. Dass diese Installation aber das Image und das heißt das Bild der Stadt nachhaltig beeinflusst steht außer Frage. Nichts an dem Projekt Dortmunder U ist so erfolgreich wie die Dachkronen-Installation. Die Fliegenden Bilder haben überwältigend positive Reaktionen erfahren, auch und gerade von Menschen, die nicht an Kunst interessiert sind oder einfach keine Zeit für Kunst haben.
Mich persönlich fasziniert, dass der Turm Identifikation stiftet, dass er Kommunikationsprozesse in der Stadtgesellschaft in Gang setzt. Dass jeder Betrachter, ohne es zu wollen, Phantasiearbeit leistet: Was hat der Turm heute zu sagen? Sehe ich da oben wirklich das, was ich glaube zu sehen?
ruhr.speak: Glauben Sie, dass das Ruhrgebiet eine besondere nationale und vielleicht sogar internationale Exzellenz im Bereich der “realen” Bilder besitzt, seien Sie nun fotografischer oder filmischer Art? Und was müsste geschehen, um diese Qualitäten zu fördern?
Adolf Winkelmann: Ich verstehe nicht ganz, was Sie mit dieser Frage meinen. Wenn es um die Exzellenz der Bilderproduzenten geht, der Macher, ist die Antwort einfach. Es gibt exzellente Hochschulen im Revier, aber das ist auch fast schon alles. Wer in Dortmund Fotografie oder in Bochum/Essen beispielsweise Schauspiel studiert hat, sieht zu, dass er es so schnell wie möglich nach Berlin oder mindestens nach Köln oder Düsseldorf schafft. Das Klima für Kreative ist rau und provinziell. Künstler fragen sich, wer will mich hier? Als Filmemacher in Dortmund z.B. bleibt man immer exotisch. Da braucht es schon eine Menge Stehvermögen und Heimatverbundenheit.
Denn dieses Gefühl, im Ruhrgebiet morgens auf die Straße zu treten und in der wirklichen Arbeitswelt zu stehen, die nach realistischer Kunst verlangt, war eigentlich schon in den siebziger Jahren romantisch, morbide und rückwärts gewandt. Längst macht es keinen Sinn mehr, Kohle zu fördern. Die Stahlwerke sind auseinandergenommen und nach China verschifft. Die einst so stolzen Malocher haben ihre Brieftauben vergiftet, Biertrinker gibt es nicht mehr, die Bionade hat sich durchgesetzt.
Fünf Millionen Menschen, die keine Kohle aus dem Berg holen, kein Erz schmelzen, keinen Stahl walzen, nicht mal mehr Bier brauen. Das ist unser Ruhrgebiet. Wir haben uns eingerichtet im Strukturwandel, sitzen am PC und schneiden uns gegenseitig die Haare. So hat jeder was zu tun.
Interview: Peter Liedtke und Martina Kötters