Vom Festhalten der Zechenkultur per Lochkamera auf Blueprints
Viele junge Menschen wissen heute nicht, dass es auch einmal eine Zeit vor dem Smartphone gab und Telefone beispielsweise aus Bakelit hergestellt wurden. Entsprechend wissen viele auch nicht, worauf der heutige Wohlstand und die Infrastruktur Nordrhein-Westfalens basiert: aus ehemals harter und hÀrtester Arbeit unter Tage in den Zechen des Ruhrgebiets.
Doch dieses Nichtwissen und der oft despektierliche Umgang mit Geschichte ist keine regionale oder nationale Angelegenheit, sie gilt wohl weltweit. Einer der das kulturelle Erbe der Zechenzeit bewahren will, ist Jonny Vekemans (55). Der FotokĂŒnstler (Jonny ist kein KĂŒnstler-, sondern sein Geburtsname) aus Belgien arbeitet dagegen: mit der Lochkamera und dem 1842 entwickelten fotografischen Verfahren: der Cyanotypie. Er vermittelt mit seinen vor Ort durchgefĂŒhrten Workshops Kindern, Erwachsenen und professionellen Fotografen den Umgang mit der Camera Obscura und der Cyanographie. So wird denn allen Beteiligten die Magie der pinhole camera verbunden mit der Filmentwicklung nahegebracht. Die eher zeitaufwendige Arbeitsweise mit den (Agfa-)Filmen bestĂŒckten Lochkameras fordert von den Akteuren ein bewussteres Sehen und Erkennen der Motive. Gerade Kinder sind, so Vekemans, begeistert vom Fotografieren per simpler leerer Farbdosen und dem âBelichtenâ per Gaffa Tape, das ĂŒber der Lochblende klebt. Das Resultat, ein Unikat ist als blauschimmernde Cyanographie ein echtes Originalkunstwerk. Analog aufgenommen und entwickelt mit Technik von gestern wird es digital vergröĂert â Transformation pur.
Die Fotoaktionen sind Teil der Feierlichkeiten zum 20jĂ€hrigen Bestehen des Wissenschaftsparks und passen perfekt âins Bildâ. Denn der Wipa Gelsenkirchen hat sich lĂ€ngst zu einem lebendigen Forum zeitgenössischer Fotografie etabliert.
âDie zwei Lebenâ des Jonny V.
Jonny Vekemans weiĂ im doppelten Sinne, was er tut und warum er sich derart engagiert. Von 1977-87 arbeitete er als Mechaniker und Ajusteur/Schlosser unter Tage in einer Zeche in Winterslag. Sieben gab es damals im Raum Limburg. Doch das Zechensterben erfasste auch diese Bergbauregion, der Strukturwandel produzierte viel Arbeitsloslosigkeit. Unter ihnen auch Jonny. Mit seiner Abfindung kaufte er sich ein Motorrad, mit dem er in Norwegen einen schweren Unfall verursachte. Nach zehn Tagen im Dunkeln seines Komas erwachte er und â erinnerte sich an nichts. Weder an seine frĂŒhere Arbeit mit wenig Licht noch an sein persönliches Umfeld. Aber im hohen Norden bildet sich ein neues Bewusstsein, ein neues Sehen und Wahrnehmen der Umwelt. Dabei entdeckt der teilseitig GelĂ€hmte eine Passion zur Architektur. Ihr folgte ein sechsjĂ€hriges Kunst- und Fotografiestudium an der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Literatur und Schönen KĂŒnste in Hasselt/Belgien. Seine Abschlussarbeit trĂ€gt den Titel âDas Licht ist ausâ und hat das Sterben des heimischen Bergbaus zum Inhalt.
Vekemans ist Sieger von: âMaster Of Panoramic Arts â96â (First price in International Photography Contest in Finland, won with Cyanotype taken with a pinhole camera).
Nebenbei: Vekemans beweist, wie eine kluge Idee, ausgefĂŒhrt mit einer einzigartigen Arbeitsweise, zu einer erfolgreichen Alleinstellung im schwierigen Berufsfeld Fotografie fĂŒhren kann. DarĂŒber hinaus erfĂŒllt er als unermĂŒdlicher Dokumentarist einer untergehenden Kultur ein ĂŒberaus wertvolles Engagement fĂŒr die Gesellschaft. Reich wird er dabei nicht: er arbeitet ohne Honorar und lebt von seiner Unfallrente. TatkrĂ€ftig unterstĂŒtzt von Ehefrau Annick Castro (Bildende KĂŒnstlerin).
Zur Cyanographie:
1842 entwickelte der englische Naturwissenschaftler und Astronom Sir John Herschel dieses Verfahren. Die Cyanotypie war das dritte Verfahren nach der Daguerreotypie und Talbottypie /Kalotypie zur Herstellung von stabilen fotografischen Bildern. Es ist ein Verfahren, das auf Eisen und nicht auf Silber beruht, welches sonst bei der herkömmlichen Herstellung von PhotoabzĂŒgen (und den zuvor erfundenen Verfahren) verwendet wird.
Anna Atkins, eine britische Naturwissenschaftlerin, machte diese fotografische Technik durch ihre BĂŒcher bekannt, in denen sie Farne und andere Pflanzen mit Cyanotypien dokumentierte. Sie gilt durch diese frĂŒhe Anwendung als erste Fotografin. KĂŒnstlerisch stand diese Technik immer etwas im Abseits, sie wurde lange Zeit nicht zu den fotografischen Edeldruckverfahren gezĂ€hlt.
Das Projekt Container001 The Industrial Heritage = Gold Tour wurde ins Leben gerufen von der belgischen Organisation Het Vervolg/Coalface und Jonny Vekemans. Vor Ort und in Gelsenkirchen wurde âThe Ruhrgebiet in Blueâ vom Wissenschaftspark Gelsenkirchen gefördert und in Kooperation mit bild.sprachen Fotografieprojekte/Pixelprojekt _ Ruhrgebiet umgesetzt.
Text & Ausstellungsfotos: Hartmut S. BĂŒhler, DĂŒsseldorf
Container001 beherbergt auch eine Dunkelkammer
Jonny Vekemans und seine LAICA, mit der diese Blueprints aufgenommen wurden
Die Cyanotypie, auch als Blaudruck, Eisenblaudruck bekannt, ist ein altes fotografisches Edeldruckverfahren mit typisch cyanblauen Farbtönen. Die Blende von Vekemans selbstgebauter Lochkamera wird mit Gaffa Tape geöffnet
Zwei der Lochkameras, die Vekemans seinen Work Shop-Teilnehmern zur VerfĂŒgung stellt
Vekemans mobile Galerie am Wissenschaftspark Gelsenkirchen
FotokĂŒnstler Vekemans war in seinem “ersten Leben” als “ajusteur” zehn Jahre âunter Tageâ auf einer Zeche in Winterslag/Belgien
Das schwarze Gold, die Kohle, ist nicht mehr. Auch in Vekemans Heimat hat der Strukturwandel unzÀhlige Kumpel in die Arbeitslosigkeit geschickt
Montanregionen im Erzgebirge, Ăsterreich, Belgien, Polen, der Tschechischen Republik waren Stationen Vekemans, der das Bergbau-Erbe dokumentiert. MaĂgeblich unterstĂŒtzt von Paul Boutsen, coalface.be
Links:
CONTAINER001 im Wissenschaftspark Gelsenkirchen
gherm.de/fotogalerien/cyanotypien/