Im Streifzug der Woche vom 19. Juli 2020: Eine Fotoserie von Paul Fusco, ein Film von Richard Olivier und ein Musikclip von Freddy Pourcel
Paul Fusco: RFK Funeral Train

In 2018, looking back at those images, as the train approaches the terminal and the light begins to fade, you realize that you are watching the final hours of the great Democratic coalition that had dominated American politics since the election of Franklin Roosevelt, in 1932 – the coalition that would fracture six months later with the election of Richard Nixon, and which is now as dead as Robert Kennedy â Louis Menand. Fotos: Paul Fusco.
Am Mittwoch ist Paul Fusco gestorben. Ihm verdanken wir eine der stĂ€rksten Fotoserien, die ich kenne: Trauernde an Gleisen, unzĂ€hlige, aufgenommen von Fusco aus dem fahrenden Zug, in dem der Leichnam des 1968 ermordeten Senators Robert Frank Kennedy zum amerikanischen Nationalfriedhof nach Arlington ĂŒberfĂŒhrt wurde. Die Fotos landeten direkt im Archiv und wurden erst 2001 von Umbrage Editions in Buchform als RFK Funeral Train herausgeben. 2008 erschien bei Aperture eine Neufassung unter dem Titel Paul Fusco: RFK. Daraus dieser Text von Vicki Goldberg. Oder kurz mit Louis Menand 2018 im New Yorker: “Fuscoâs photographs are amazing in pretty much every way.”
Menand geht in seinem Artikel auch zwei Folgeprojekte zu Fusco ein: Philippe Parrenos Reenactment-Film 8 June 1968 von 2009 und das 2018 erschienene Buch The Peopleâs View von Rein Jelle Terpstra mit Fotos, die von TrauergĂ€sten am Gleis aufgenommen wurden und den Zug selbst zeigen (Ausstellung, Besprechung).
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Richard Olivier: Marchienne de vie
Harter Themenwechsel: Filme und FernsehbeitrĂ€ge als Quelle zu Industrierregionen. Mit etwas Ausdauer lassen sich so Ansichten von Produktionsanlagen, baulichen ZustĂ€nden und regionalen Szenerien finden, von denen kaum oder auch keine Fotos bekannt sind. FĂŒr den Osten der Wallonie gibt es einen GlĂŒcksfall: Die Spielfilme der Dardenne-BrĂŒder spielen alle in Seraing im Osten der Wallonie, als frĂŒherer Sitz der Cockerillschen Fabrik der Ort der belgischen Industrialisierung schlechthin.
Hauptort der Stahlindustrie im Westen der Wallonie ist Charleroi, und dort speziell Marchienne-au-Pont. Am Zusammenfluss von Sambre und Charleroi-Kanal gab es nicht nur eine einzigartige Konzentration von Stahl- und HĂŒttenwerken und bis vor kurzem die wohl spektakulĂ€rste Industrielandschaft Westeuropas, sondern seit spĂ€testens Mitte der 1980er auch so enormen Niedergang, dass der Ort zumindest als “capitale de la douleur” (Le Monde) durchging, wenn nicht gar als “le trou du cul du monde” bei Richard Olivier. Von ihm stammt der knapp einstĂŒndige, leicht halÂluÂziÂnaÂtoÂrischen Film Marchienne de vie (1994). Olivier fĂ€hrt und lĂ€uft umher, spricht mit allen möglichen Leuten, besucht Kirchen, Moscheen, Versammlungen, eine Kartenlegerin und einen Rentner mit Maschinengewehr, und mischt das Ganze so mit atmosphĂ€rischen Aufnahmen vorwiegend aus der mittlerweile seit fast 160 Jahren laufenden Fabrique de Fer oder kurz Fafer, wie es nur Belgier können.
Direkt zu Beginn eines der schönsten GerĂ€usche der HĂŒttenindustrie: das Grollen und Donnern des auf den zu schmelzenden SchrottstĂŒcken tanzenden Lichtbogens im Elektroofen. Die 1977 in Betrieb genommene Anlage mit 200 Tonnen Fassungsvermögen, auch nach heutigen MaĂstĂ€ben groĂ und eines von derzeit drei aktiven Stahlwerken in Charleroi, firmiert seit dem Jahr 2000 als Industeel. Dazu mehr in einem kommenden Streifzug. Wer nicht alles schauen möchte: Neben den ersten Minuten und der Schlussmontage ab ca. 51’15 lohnt vor allem der Teil von 19’46 bis 24’20 mit Friedhof und Friterie, auch ohne Französischkenntnisse.
Im Vergleich völlig unpoetisch, aber ebenfalls voll mit Aufnahmen mittlerweile verschwundener Anlagen in Charleroi: Quand tombent les usines, Fernsehbeitrag von 1990.
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Freddy Pourcel/Kosmose: Charleroi Industry 1978
Ebenfalls Marchienne-au-Pont, mit einer Fahrt ĂŒber die gleiche StraĂe eröffnend, in umgekehrter Richtung und 16 Jahre frĂŒher: Charleroi Industry von Freddy Pourcel fĂŒr die Band Kosmose von 1978. Hier ist Marchienne mit maximaler Anlagendichte zu sehen, einschlieĂlich der Vorkiegs-Hochöfen bei Thy-Marcinelle und der Hochofenbatterie in Dampremy. Eigentlich aber geht es um Apokalypse, und: alleine schon die mehrminĂŒtige SchluĂseqenz mit ihrer frĂŒhen Computergrafik!
Kosmose war eine ungefÀhr von 1973 bis 1978 bestehende Krautrock-Truppe aus Charleroi. Veröffentlicht wurde ihre Musik erst in den letzten Jahren, hauptsÀchlich bei Sub Rosa. Als Ausklang dieses Streifzugs: Music From The Black Country.
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Und sonst?
Klaus Wagenbach wurde 90, Interview mit ihm
70 Jahre Suhrkamp: Die Unseld-Jahre
Was ist eigentlich ein Meisterwerk? Christina Dongowski ĂŒber KunstfĂ€lschungen
Und Stichwort Streifzug: Pariser Abende, Roland-Barthes-Hörspiel
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Text: Haiko Hebig
Fotos: Paul Fusco/Magnum/Library of Congress