Streifzug der Woche #2 vom 23. Juli 2019
Jede Menge Kohle
Die LEG hat das Wohnhochhaus Hannibal I in Dortmund und 1.200 Wohnungen in der Neuen Stadt Wulfen zusammen mit mehr als 1.000 weiteren Wohnungen an einen Investmentfonds in die Karibik verkauft.
Hannibal I in der Dortmunder Nordstadt und Hannibal II in Dortmund-Dorstfeld sind Zeugen der Stadtsanierungen der 1960er und 1970er Jahre. Der Verkauf des im Film Jede Menge Kohle zu sehenden Dorstfelder GebĂ€udes an einen anderen Investor endete 2017 in der âbeispiellosen Vertreibung von 753 Menschen aus ihren Wohnungenâ. Wegen fehlendem Brandschutz mussten die Bewohner ihre Wohnungen binnen einer Stunde verlassen und können seither trotz bestehender MietvertrĂ€ge nicht zurĂŒck: Das GebĂ€ude ist stromlos, versiegelt und verbarrikadiert. Es ist weiterhin völlig unklar, wie es weitergeht.

Hannibal 1, BornstraĂe, Dortmund. Foto: Haiko Hebig.
Wulfen-Barkenberg kann als verdichtete Ruhrgebietsgeschichte der Nachkriegszeit gelesen werden. Die 8.000 Mitarbeiter der komplett neuen und als leistungsstĂ€rkste Anlage des Reviers geplanten Zeche Wulfen sollten nicht in einer herkömmlichen Zechensiedlung, sondern einer ebenfalls komplett neuen und neuartigen Stadt leben – mit 50.000 Einwohnern, gemischter Struktur, modernen Leitbildern wie der Trennung von Autos und FuĂgĂ€ngern und ganz neuen Konzepten wie der Metastadt, der Finnstadt und dem Habiflex. Der Beginn der Arbeiten an der Zeche fiel mit dem Allzeithoch der Steinkohlenförderung 1957 zusammen. Wulfen blieb die letzte NeugrĂŒndung einer Steinkohlenzeche in Deutschland. Gebaut wurden nur die beiden SchĂ€chte und minimale Infrastruktur. Höchstens 408 Mitarbeiter förderten ab 1964 weniger als 10% der geplant gewesenen Tagesmenge. 1975 wurde die Anlage mit FĂŒrst Leopold in Dorsten zusammengelegt und die Neue Stadt Wulfen als Wulfen-Barkenberg ebenfalls nach Dorsten eingemeindet. VerfĂŒllung der SchĂ€chte 2000, Abbruch der Tagesanlagen 2003, seither Brache, letzte Arbeiten unter Tage 2015. In Barkenberg lebten maximal 12.000 Menschen. Seit 1994 ist die Bevölkerungszahl rĂŒcklĂ€ufig, zur Zeit betrĂ€gt sie 8.000. GroĂe Teile des Viertels wurden in den lezten Jahren abgerissen, bestimmte andere wie die Finnstadt erfreuen sich weiterhin groĂer Beliebtheit.

Zeche Wulfen. Foto: Haiko Hebig.
Visuelles GedÀchtnis
PixelProjekt in groĂ – Kulturstaatsministerin Monika GrĂŒtters hat den Aufbau einer zentralen Einrichtung zur Bewahrung des fotografischen Kulturerbes des Landes angestoĂen: âDie Werke herausragender deutscher Fotografinnen und Fotografen sind ein wichtiger Teil unseres nationalen Kulturerbes. Doch es gibt erheblichen Nachholbedarf dabei, dieses visuelle GedĂ€chtnis unserer Gesellschaft systematisch zu sichern, aufzuarbeiten und der Ăffentlichkeit zugĂ€nglich zu machen. Deshalb brauchen wir eine zentrale Einrichtung.â Weder Museen noch Galerien seien dafĂŒr geeignet. Ein Team unter Thomas Weski und mit Ute Eskildsen soll nun Empfehlungen zu Struktur, Aufgaben und Funktionen einer solchen Einrichtung earbeiten. Der AnkĂŒndigung voraus ging u.a. die Diskussionsrunde Fotoarchive â Kulturgut oder Handelsware? an der UdK Berlin am Anfang des Monats.
IndustrieFilm Ruhr ’19
âErschlieĂungs- und Bildungsarbeit zugleichâ – Schon mal zum Vormerken: FilmschĂ€tze aus Ruhrgebietsarchiven gibt es wieder am 17.11. bei der Industriefilm Ruhr zu sehen. Dauerhaft interessant sind die unten auf der Seite verlinkten umfangreichen Programmhefte von 1997 bis 2009. Manfred Rasch vom ThyssenKrupp-Aarchiv beschreibt, was Industriefilme interessant macht und wie sie erschlossen werden.
Und sonst?
âIâm an Outsider on the Insideâ – Bruce Davidson, Interview im New Yorker, Fotos aus Wales 1965, inclusive des Jungen mit dem Puppenwagen. //âAlso: wie schreibt man Foto-Geschichte?â – Neuere AnsĂ€tze von Stefan Gronert und Camera Austria – A History.
Text und Titelbild: Haiko Hebig