Ende April reagierte FREELENS als größter und wahrscheinlich einziger Interessensverband fĂĽr Fotojournalisten in Deutschland mit einem eigenen Positionspapier auf die aktuelle Diskussion: Was darf ein Bildjournalist heute und was nicht? Ausgangspunkt des Papiers sind die Querelen rund um den diesjährigen World Press Preis, in welchem allein rund 20 Prozent aller Arbeiten auf Grund von technischen Manipulationen disqualifiziert wurden (2013 gab es ja schon Streit um die Bildbearbeitung des Siegerfotos von Paul Hansen). Und schlimmer noch – dem italienischen Fotografen Giovanni Troilo der erste Preis in der Kategorie “Contemporary Issues Story” fĂĽr seine Arbeit ĂĽber die belgische Kohlenstadt Charlerois “La Ville Noir – The Dark Heart of Europe” im Nachhinein aberkannt wurde.
Troilo hatte bei seiner Fotogeschichte (und ich sage bewusst nicht Fotoreportage) einige Fotos in die Serie aufgenommen, die nicht wirklich in Charlerois entstanden waren und eines der Fotos war “sogar” gestellt und mit einem ferngesteuerten Blitz lichtinszeniert. Dies hatte der Fotograf niemals bestritten und wohl auch so in seinen Bildunterschriften kenntlich gemacht.
Der Bürgermeister des belgischen Städtchens wollte die negative Darstellung des Ortes nicht hinnehmen und protestierte gegen diese Darstellung, fand Bilder, die nicht in seiner Stadt entstanden waren und brachte letztlich die Auseinandersetzung und somit auch die Aberkennung des Preises in Gang. Ob die Bilder und ob die Story letztlich die Realität von Charlerois wiedergeben, oder ob diese in Wirklichkeit vielleicht nicht sogar noch schrecklicher ist, war dabei nicht Inhalt der Auseinandersetzung.
Es ging allein darum, was nach den Regeln von World Press erlaubt ist und was nicht.
Und hier muss die Frage erlaubt sein: Sind diese Regeln noch zeitgemäß?
Und: sollte man eher offener oder restriktiver werden?
Klar sollte sein, dass Fotografien niemals eine Realität zeigen, sondern eine subjektive Sicht der Realität. Je mehr Handwerkszeug ein Fotograf besitzt, um seine Aussage zu verstärken und auf den Punkt zu bringen und je besser er sie zu nutzen weiß, desto besser ist sein geistig-künstlerisches Werk. Und die digitale Welt hat hier einen neuen Reigen von Instrumenten geschaffen. Die Alternative zur bewussten Gestaltung sind Bilder von Google Earth – aber auch nur so lange, wie wir sie nicht editieren, wie es beispielsweise der Pixelprojekt Fotograf Michael Wolf mit den abfotografierten Google Streetview Fotos gemacht hat, für die er 2011 beim World Press Preis eine ehrenvolle Erwähnung erhielt.
Klar sollte auch sein, dass diejenigen, die Bilder auswählen, ordnen, groß oder klein machen, in Korrespondenz mit anderen Meldungen und Texten stellen, die Realität formen. Gerade deshalb ist ja auch die Auseinandersetzung über das Erlaubte und ethisch Vertretbare so wichtig- nicht nur von und gegenüber Fotografen.
Die wichtigen Fragen sollten sich daher eher mit der Ethik und Selbstverantwortung der Bildautoren beschäftigen als mit technischen Forderungen. Und das hatte man bisher auch ganz anders gemacht – glücklicherweise.
Ich denke zurĂĽck an die Examensarbeit von Peter Hendricks (später 10 Jahre Bildredakteur beim Spiegel und jetzt Professor fĂĽr Fotografie an der Muthesius Kunsthochschule Kiel) von 1985 “Bilder schwuler Kultur”, in welchem er Bilder der schwulen Szene schuf. Hier hatte er recherchiert. Die Bilder entstanden aber gestellt. Wie auch sonst? Man möge sich nur vorstellen, welche Bilder entstanden wären, hätte der Fotograf die Szenen life mit vorherigem Modell Release Vertrag machen wollen. Bei vielen Bildjournalisten ist diese Vorgehensweise (auf Grund der unklaren Rechtsverhältnissen im Sinne des Rechts am eigenen Bild versus der Freiheit der Kunst – ich betone der Kunst!) inzwischen Praxis. Was das fĂĽr den Wahrheitsgehalt und die Qualität der Bilder bedeuten mag, kann sich jeder vorstellen.
Die oben genannten Bilder von Peter Hendricks, die zumindest fĂĽr ihn unstrittig Bildjournalismus sind, hatten nicht nur den Kodak European Photographic Award erhalten, sondern wurden auch auf dem Fotofestival fĂĽr Bildjournalismus in Perpignan ausgestellt, dem Festival, das nun der World Press Association mit einem Nicht-Zeigen von jeglichen World Press Preis Bildern gedroht hatte, falls der Preis an Troilo bestehen bliebe. Festivalleiter Jean François Leroy baute hier gar eine Konfliktlinie zwischen Kunst und Journalismus auf: “Troilo ist ein KĂĽnstler, vielleicht sogar einer mit Talent. Des weiteren lässt ihm sein selbsternannter Status als Nichtjournalist viele Möglichkeiten, sich auĂźerhalb von Visa Pour L’Image auszudrĂĽcken.” Was bleibt denn von den Bildern ĂĽbrig, wenn man die Kunst wegnimmt? Welche der ausgezeichneten World Press Bilder wĂĽrden dann ĂĽberhaupt noch ihren Preis behalten dĂĽrfen? Und welche Kraft hätten sie?
Sollte die Grenze nicht eher zwischen PR Fotografie und Bildjournalismus gezogen werden? Wahrheit ist nicht abhängig von stellen oder nicht stellen, nicht von Bildausschnitt und Belichtung, nicht von Brennweite und nicht von “beobachtet” oder “unbeobachtet” und auch nicht von digitaler Bearbeitung. Der Wahrheitsgehalt ist abhängig von der Verantwortung der Bildautoren und auch der Redakteure. Insofern ist es natĂĽrlich an der Zeit fĂĽr eine Diskussion um eine fotografische Ethik, wie sie nun FREELENS in seinen sieben Punkten im aktuellen Positionspapier präsentiert.
Das an sich gut durchdachte Papier hat allerdings auch einige Schwächen.
Ob es wirklich möglich ist, immer professionelle Distanz zu waren (Muss man nicht Position beziehen?) wage ich zu bezweifeln. Auf jeden Fall sollte aber der Auftraggeber benannt sein. Und hier sind insbesondere die Medien gefragt, die immer mehr auf PR Material zurückgreifen, statt eigene Reportagen zu beauftragen. Hier reicht doch schon ein Hinweis im Copyright.
Ganz unausgereift finde ich im Punkt 3 – “Ereignisse zu inszenieren, nachzustellen oder Personen zu Handlungen anzuleiten ist nicht akzeptabel” – siehe oben. Muss man sich hier nicht eher umgekehrt fragen, was Embedded Journalismus ĂĽberhaupt noch mit Journalismus zu tun hat, was die Werksreportage, in welcher man ebenso nur Ausschnitte aus Produktionsabläufen zu sehen bekommt und teilweise seine Bilder zur Freigabe vorlegen muss, und was die inszenierten Pressetermine, die doch eher einen Medienzirkus als eine Realität darstellen?
Hilft dabei ein Ehrenkodex, der ja auch gleichzeitig kontrolliert gehört?
Oder fehlt nicht eher eine Medienkompetenz des Informationsempfängers, die zu Erreichen meines Erachtens schon in die Schule gehört, wie es etwa der Basler Medienwissenschaftler Prof. Dr. Roberto Simanoswki fordert. Hier muss vermittelt werden, dass die Informationen und auch die Bilder, die wir zu sehen bekommen, lediglich einen Ausschnitt der Realität zeigen und das bestimmte Medien, die mit unterschiedlichen Interessen handeln, Ziele verfolgen, sei es politische oder gesellschaftliche Einflussnahme oder sei es das Anheizen von Konsum. Hier muss vermittelt werden, dass Informationen, sei es in Text oder Bild, niemals neutral sind. Hier muss auch vermittelt werden, welche Probleme, aber auch Möglichkeiten durch das Internet gegeben sind. Und hier muss schließlich der Grundstock für eine reife Informationsgesellschaft angelegt werden.
Hier ist die Politik gefragt und nicht nur die Fotografen.
Und bis die Politik greift sind wir alle gefordert, Medienkompetenz zu vermitteln.
Und wenn ein nachgestelltes Foto hilft, die Welt zu sehen und zu verstehen, dann ist es gut – egal was World Press, Perpignan oder FREELENS sagen!
Und nun zu den Tipps!
Tipp 1: Pixelprojekt_Ruhrgebiet bei startnext unterstĂĽtzen:
www.startnext.com/pixelprojekt-ruhrgebiet2015, damit es auch zur nächsten Ausstellungseröffnung der Neuaufnahmen am 18.6. um 18:30 Uhr wieder einen Katalog gibt!
Tipp 2: Noch bis zum 6. Juni die Ausstellung “Konfetti im Kopf” im Wissenschaftspark Gelsenkirchen besuchen (falls noch nicht geschehen)!
www.bildsprachen.de/ausstellungen/konfetti-im-kopf
Tipp 3: Jetzt schon den Termin für die nächste bild.sprachen Plattform vormerken:
27. und 28. Nov. auch im Wissenschaftspark Gelsenkirchen
imagenow.bildsprachen.com
Tipp 4: Die Ausstellung “Conflict – Time – Photography” im Museum Folkwang besuchen.
ruhrspeak.de/ueber-den-moment-hinaus-ausstellung-conflict-time-photography-im-museum-folkwang
Und nebenbei (viel Zeit mitbringen) auch Robert Franks BĂĽcher und Filme sehen!
Tipp 5: Die Ausstellung “Green City” in der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen vom 10.5. bis zum 13.9. besuchen,
u.a. mit Arbeiten der Pixelprojekt Fotografen Dominik Asbach, Joachim Brohm, Susan Feind, Rudolf Holtappel, Sebastian Mölleken, Andreas Ren, Wolfgang van Triel, Manfred Vollmer.
www.ludwiggalerie.de/de/ausstellungen/aktuell/
Tipp 6: Die neuen BĂĽcher der Pixelprojekt Fotografen Sebastian Mölleken „A 40“ (erschienen bei Kettler und auch Teil der Pixelprojekt Sammlung), Wolfgang Zurborn (ebenfalls Kettler) und von Hans Rudolf Uthoff “Als der Pott wieder kochte” (erscheint im Juni bei Klartext und ist in Ausschnitten ebenso Teil der Pixelprojekt Sammlung) beachten. Beide BĂĽcher gibt es dann auch im Pixelprojekt Bookshop:
www.pixelprojekt-ruhrgebiet.de/de_DE/bookshop
Tipp 7: Den DEW Kunstpreis 2015 beachten. Es winkt Preisgeld, Katalog und Einzelausstellung. Obwohl ich ja bereits selbst schon Teil der Jury war, hat es hier die Fotografie schwer, aber man sollte es nicht unversucht lassen. Bewerbungsschluss 15.6. www.dew21.de/kunstpreis
Tipp 8: Bei der bis zum 15. Mai VG BildKunst bewerben
www.bildkunst.de
Tipp 9: Last but not least. Ich bitte um Reaktionen auf meine Statements zum Ehrenkodex im Bildjournalismus. Nur durch öffentliches Einmischen entsteht demokratische Veränderung!
Peter Liedtke ist Projektleiter bild.sprachen und Initiator von Pixelprojekt_Ruhrgebiet. Er gibt für ruhr.speak einmal im Monat persönliche Tipps zur Fotowelt (an der Schnittstelle zur Urbanität) im Ruhrgebiet, aber auch anderswo.