Im April begegneten mir zwei Statistiken, die mich beeindruckt haben. Zum einen eine Umfrage des beruflichen Netzwerkes Xing zur Beliebtheit des Arbeitsortes und zum anderen das HWWI (Hamburgisches WeltWirtschaftsinstitut) / Berenberg (Privatbank) Städteranking 2013.
Zu den beliebtesten Arbeitsorten Deutschlands zählen laut Xing-Umfrage unter den 12 einwohnerreichsten Städten Deutschlands Hamburg (42 Prozent), München (35 Prozent) und Berlin (28 Prozent), zu den unbeliebtesten zählen Essen (- 48 Prozent), Dortmund (- 44 Prozent) und Leipzig (-38 Prozent).
Überraschend nun: Für einen Umzug sind den Arbeitskräften soziale Rahmenbedingungen (59 Prozent) und Freizeit (57 Prozent) und nicht, wie man vielleicht erwarten würde, Gehalt (37 Prozent) oder Miet- und Immobilienpreise (10 Prozent) die wichtigsten Faktoren. Inwiefern diese Zahlen repräsentativ sind, darf bei nur 845 Befragten bezweifelt werden, und inwiefern diese Zahlen Vorurteile widerspiegeln oder doch auf Erfahrungen beruhen, ist nicht bekannt. Dennoch ist die Tendenz klar: Freizeit und Kultur sind maßgebliche Faktoren für die Wahrnehmung von Stadtqualitäten. Es gilt also hier zu investieren statt zu kürzen!
Interessant nun der Vergleich mit der Umfrage von HWWI/Berenberg. Während bei der Xing Umfrage Frankfurt (- 35 Prozent) zu den unbeliebtesten Arbeitsorten Deutschlands zählt, ist die Mainmetropole bei HWWI/Berenberg dicht gefolgt von München deutlich die erfolgreichste Stadt Deutschlands. Gemessen werden in den 30 bevölkerungsreichsten Städten drei Indizes in Form eines Trends – eines Standort- und eines Demografieindexes.
Unter den 10 am schlechtesten bewerteten liegen die Ruhrgebietsstädte Duisburg, Dortmund, Gelsenkirchen und Bochum mit insgesamt negativen Tendenzen. Lediglich Essen ist auf Platz 10 gelandet (2010 Platz 21) und weist überaus positive Tendenzen auf.
Alle Ruhrgebietsstädte schrumpfen weiter (insbesondere Gelsenkirchen und Bochum), doch alle Städte wachsen bei den 18-30 jährigen, jedoch sehr unterschiedlich. Wanderungsmeister in dieser Altersgruppe ist Berlin (176.628 Personen) Schlusslicht ist Gelsenkirchen mit weit unter 5.000 Personen. Bei der Anzahl der Erwerbstätigen haben alle Ruhrgebietsstädte positive Entwicklungen zum Vergleichszeitraum 2000-2005 gemacht. Essen und Dortmund befinden sich hier auf guten Plätzen im Mittelfeld des Rankings, genauso wie beim Anteil der Beschäftigten in wissensintensiven Wirtschaftszweigen. Im Bereich der Produktivitätsentwicklung glänzen sogar die Ruhrgebietsstädte. Auf Platz 1 ist unangefochten Essen, gefolgt von Gelsenkirchen, Bochum, Bonn und Duisburg. Lediglich Dortmund befindet sich auf den letzten Plätzen. Beim Bildungsniveau liegen Duisburg und Gelsenkirchen weit hinten, beim Trendindex wiederum liegt Essen auf Platz 2 dicht hinter Bonn.
Für den Bereich der Kultur hatte HWWI/Berenberg zuletzt 2012 ein Städteranking ermittelt. Die Berechnung erfolgte unter dem Gedanken, das Attraktivität und Vielfalt der Kulturlandschaft wichtige Aspekte der Stadtort- und Lebensqualität für hoch qualifizierte und kreative Menschen sind (weiche Standortfaktoren). Ganz vorne liegt hier die grüne Schwabenmetropole Stuttgart (und nicht Berlin) gefolgt von Dresden und München.
Die Schlusslichter bilden die Ruhrgebietsstädte. Die einzige Ausnahme bildet Essen auf Platz 13 noch vor Köln und knapp hinter Düsseldorf. Erschreckend die Zahlen der Künstlerdichte in Prozent. Während Berlin auf knapp 10 Prozent und Köln und München auf über 8 Prozent kommen, gibt es in Gelsenkirchen lediglich 0,8 Prozent und in Duisburg 1 Prozent Künstler.
Duisburg ist Schlusslicht bei den Kinoplätzen je 1000 Einwohnern, genauso wie bei den Theaterplätzen. Dafür ist Duisburg aber auf Platz 7 bei den laufenden Ausgaben für Bibliotheken. Hier belegen die Ruhrgebietskommunen insgesamt ganz ordentliche Plätze. Auf dem vorletzten Platz außerdem Berlin. Bei den Museumsbesuchen je 1000 Einwohner liegt Gelsenkirchen deutlich auf dem letzten Platz genauso wie bei den aktiven Bibliotheksbenutzern, während Duisburg Schlusslicht bei den Theater- und Opernbesuchern ist.
Schlusslichter bei den Umsätzen in der Kulturwirtschaft sind ebenfalls Duisburg und Gelsenkirchen, während Essen auf Platz 3 zu dem umsatzstärksten Großstädten Deutschlands zählt. Bochum und Dortmund sind im unteren Drittel.
Mein Fazit:
Wir sehen also deutlich die Zusammenhänge zwischen Kulturranking und allgemeinem Städteranking genauso wie den Wert der Investition in Kultur für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.
Daher direkt zu den kulturellen Highlights im Mai.
Mein persönliches Highlight ist natürlich unsere Ausstellung „Best of Workshops“, die wir am 4. Mai im Rahmen des Gelsenkirchen-Ückendorfer Kulturevents „Tür auf“ um 18 Uhr eröffnet haben. Über mehr als drei Jahre hat die Fotografin Christiane Hantzsch in unserem Auftrag Fotoworkshops mit Kindern und mit Erwachsenen durchgeführt.
Entstanden ist ein wunderbares Porträt des Kreativquartiers Ückendorf und der Stadtteile Bulmke-Hüllen und Neustadt. Wahrscheinlich gibt es keinen Ort, ohne spannende Menschen und Entwicklungen. Die Geschichten müssen nur gefunden und erzählt werden. Dies ist Christiane und ihren Workshop-Teilnehmern mit erzählerischen Bildern vorbildlich gelungen. Das sollte es in jeder Stadt geben, denn unsere Städte sind spannend. Es fehlen nur die Erzähler!
In der Galerie Hundert zeigen wir seit dem 4. Mai unter dem Titel „Menschen im Ruhrgebiet“ Arbeiten von Maurice Kohl, Brigitte Kraemer, Horst Lang und Georg Schreiber. Das Programm der Galerie Hundert bietet nach wie vor die Gelegenheit, hochwertige Fotokunst zu kleinen Preisen zu erwerben. Immer noch ist in Deutschland im Bereich der Fotokunst viel Luft nach oben. Und man kauft natürlich am günstigsten, wenn die Preise unten sind.
Neben dem Angebot von Malerei und Skulptur, von Buchdruck und Zeichnung gibt es bei der Aktion “Tür auf” der Galeriemeile gelsenkirchen wie gewohnt auch kleinere Konzerte.
Für die Freunde der Fotografie sei noch auf das temporäre „Selbstporträtstudio“ von Pedro Malinowski auf der Bochumer Str. 99 hingewiesen, das nur für ein Wochenende entsteht und im Ergebnis ein Porträt der Besucher, oder um es mit Beuys zu sagen, eine soziale Plastik entstehen lässt.
Im Wissenschaftspark ist noch die Arbeit „Menschen – Orte“ von Dieter Blase bis zum 22. Juni zu sehen.
Empfehlen kann ich nach wie vor die Ausstellung „Kairo – offene Stadt“, die jetzt nur noch bis zum 5. Mai im Museum Folkwang zu sehen ist. Dieser Ausstellung folgt ab dem 11. Mai eine Ausstellung über den verstorbenen amerikanischen Pixelprojektfotografen Leonard Freed, auf die ich mich sehr freue. Rainer Schlautmann hatte schon 2004 Leonard Freed persönlich überzeugen können, mit seiner Arbeit „Made in Germany“ Teil des Projektes zu werden.
Hinweisen möchte ich auch unbedingt auf die Ausstellung „Kohle global“ im Ruhr Museum Essen. Die aktuelle Bedeutung von Kohle wird objektiv und kritisch beleuchtet und gibt unerwartete Erkenntnisse. Mein Lieblingsexponat ist die Steinstaublunge (Silikose), als Symbol der gesundheitlichen Kosten des Energiehungers. Auch die Silikose-Kranken gehören zum alten Bild des Ruhrgebietes. An dieser Krankheit sind die Betroffenen nach und nach erstickt, wenn auch die tatsächliche Todesursache oftmals dann eher der Herztod war. Auch heute sind die Arbeitsbedingungen in den Kohleminen weltweit vielerorts schlichtweg unmenschlich. Die Ausstellung besteht u.a. auch aus vielen Fotografien und Filmen. Absolut sehenswert!
Am 3. April habe ich die Ausstellung „Darmstadt Scans“ von Kurt Hörbst in Darmstadt besuchen. Nach Wien und Venedig entwickelt der Fotograf nun auch ein Personenporträt Darmstadts in aufwendigen Ganzkörperscans. Leider zeitgleich wurde die Ausstellung zum europäischen Architekturfotografiepreis 2013 in Deutschen Architekturmuseum Frankfurt eröffnet, die wir 2014 auch im Wissenschaftspark Gelsenkirchen zeigen werden. Auch wenn der Titel eher eine Auseinandersetzung mit Architektur assoziiert, ist die besondere Stärke die Auseinandersetzung mit Stadt und Urbanität. Ich freue mich auf die neuen Ergebnisse.
Auch wenn wir ja primär Leser für unseren eigenen Blog suchen, möchte ich dennoch auf den online Discourse/Blog „still searching“ des Fotomuseum Winterthur (blog.fotomuseum.ch) hinweisen. Der Blog besteht seit Januar 2012 und versucht online einen Diskurs zur aktuellen Fotografie zu führen. Für eine bestimmte Zeit werden Blogger eingeladen, ihre Positionen zum Dialog zu veröffentlichen. Aktueller Blogger ist noch bis Ende Mai der amerikanische Fotograf, Professor und Theoretiker Walead Beshty.
Aufmerksam machen möchte ich auch auf die Ausschreibung „Dokumentarfotografie Förderpreise 10“ der Wüstenrot Stiftung (noch bis zum 6. September) und auf den DEW Kunstpreis (bis 17. Juni).
Hinweisen möchte ich ferner auf eine Ausschreibung der Kunsthochschule für Medien Köln, die einen künstlerisch/wissenschaftlichen Mitarbeiter mit Schwerpunkt Transmedialer Raum / Installation / Sound suchen (vielleicht nicht das ganz richtige für einen Vollblutfotografen).
Für die besonders ambitionierten sei vielleicht auch darauf hingewiesen, dass das FotoFest Houston einen neuen Executive Director sucht. (noch bis zum 1. Juli).
Gratulieren möchte ich der Pixelprojektfotografin Annette Jonak, die Preisträgerin des „Bridges Fotoprojekt Emscher Zukunft 2013 geworden ist. Die anderen Preisträger sind Albert Palowski, Sebastian Forkath, Hendrik Lietmann und Oscar Ledesma.
Ausgewählt sind nun auch die Neuaufnahmen des Pixelprojekt_Ruhrgebiet 2012/13. 25 Fotoserien von 23 Fotografen wurden in der Jurysitzung am 28. April neu in das Projekt aufgenommen. 18 Fotografinnen und Fotografen sind nun erstmals im Projekt vertreten. Alle Neuaufnahmen werden mit der Ausstellung der Arbeiten (Eröffnung am 11. Juli im Wissenschaftspark Gelsenkirchen) auf unserer Website www.pixelprojekt-ruhrgebiet.de freigeschaltet. Es gibt Gutes zu entdecken.
Last but not least: für alle, die sich mehr Inhalte, Ausstellungsbesprechungen, Exkursionsberichte, Rezensionen auf ruhr.speak wünschen, sei auf unsere crowdfunding-Aktion auf startnext hingewiesen. Hier kann man spenden und im Gegenzug interessante „Dankeschöns“ erhalten.
www.startnext.de/ruhr-speak
Und nun noch viel Spaß im Wonnemonat Mai!
Peter Liedtke ist Projektleiter bild.sprachen und Initiator von Pixelprojekt_Ruhrgebiet. Er gibt für ruhr.speak einmal im Monat persönliche Tipps zur Fotowelt (an der Schnittstelle zur Urbanität) im Ruhrgebiet, aber auch anderswo.