Im neuen Jahr 2014 feiert die Fotografie ihr 175-jähriges Jubiläum – einer von vielen Erinnerungs- und Gedenkanlässen, die uns durch dieses Jahr begleiten werden. FĂĽr mich ist das noch ganz frische 2014 ebenfalls Motivation, zurĂĽck und nach vorne zu schauen: Meines Erachtens werden die Veränderungen in der Fotografie seit der Digitalisierung nicht mehr vorrangig als wirtschaftlich bedrohlich wahrgenommen. Die mannigfaltigen Chancen werden immer deutlicher erkennbar und auch ergriffen.
Die gesellschaftlich größten Veränderungen sind innerhalb der Informationsmedien zu sehen. Kein Tag (Monat, Jahr), an dem nicht eine Zeitung oder Zeitschrift aufgibt oder Redakteure entlassen werden. Aber auch kein Tag (Monat, Jahr), an dem nicht eine neue online-Zeitung, ein online-Magazin oder Blog entsteht.
Ähnliches bei den Büchern. Buchläden sterben, große Verlage stehen vor dem Aus und kleinere mit speziellen Profilen entstehen parallel neu und überleben in Nischen mit Auflagen von 300–500 Exemplaren wie z.B. der Peperoni Verlag von Hannes Wanderer. Andere produzieren ihre Bücher im Selfpublishing mit oder ohne ISBN.
Mit all dem sind neue Vermarktungsmöglichkeiten verbunden, die im Ertrag oftmals eher im Mikro- als im Makrobereich liegen. Die Gratwanderung zwischen Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung bleibt schmal. Aber es gibt diesen Grat!
Journalistische Projekte, die von Zeitschriften finanziert wurden, werden immer häufiger über Stipendien finanziert und selbst die Zahl der Sammler von Fotografie nimmt zu, wenn auch nicht so schnell wie die Zahl der Fotokünstler.
Noch nie konnten wir uns so breit informieren. Noch nie wurde fĂĽr diese Information so wenig gezahlt. Und noch nie so viel fĂĽr Image!
Auch das Image der Fotografen, der Lebemänner mit Sportwagen umgeben von schönen Frauen, die hin und wieder eine Fotosession machen und sich ansonsten von Verlegern und Galeristen hofieren lassen, kennt man nur noch aus alten Filmen, wie z.B. „Blow up“ von Michelangelo Antonioni von 1966. Fotografinnen gab es in dieser Zeit nur wenig.
Unter anderem mit dem Hinweis auf die digitale Fotografie hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VFGH) den Eintrag der Berufsfotografie als reglementiertes Gewerbe in der Gewerbeordnung für verfassungswidrig erklärt. Während eine gewisse fototechnische Ausbildung bisher noch für die Erstellung von guten Fotos notwendig war, können dies die Kameras nun schon selbstständig. (siehe auch: ruhrspeak.de/was-ist-ein-gutes-bild)
Es bleibt also zu fragen, was man selber in diesem Beruf tut. Der Fotograf als Playboy ist tot, der Fotograf als Techniker genauso. Immer mehr Frauen werden Fotografinnen und beeinflussen die Fotografie.
Umso wichtiger ist die Bildkompetenz, ist die Fähigkeit mit Bildern sprechen zu können und schließlich Bildwerke entstehen zu lassen, von der Poesie bis zum Tatsachenbericht, vom Roman bis zur Kurzgeschichte. Hier hat die Bildsprache ganz andere Möglichkeiten als die Schriftsprache – ohne diese damit abwerten zu wollen.
Das ist es, was ich mir für 2014 wünsche: Bildgeschichten, die überraschen, die in einzigartiger Art und Weise Geschichten erzählen, die ich nie zuvor gesehen habe, voller Anmut und Gediegenheit, voller Kraft und Schönheit. Und ich wünsche mir nicht nur, dass diese Geschichten entstehen, nein, diese Geschichten müssen sichtbar gemacht werden und in der Gesellschaft wirken. Dazu gilt es mehr, bessere und wirksamere Kommunkationsplattformen im digitalen Raum sowie im wahren Leben zu schaffen.
Nun zu den Tipps:
bild.sprachen-Projekte
Am 30. Januar eröffnen wir im Wissenschaftspark Gelsenkirchen die Ausstellung „The Critical Camera – Fotografie an Brennpunkten der Welt“. Die Ausstellung stellt fĂĽnf international engagierte Fotografinnen und Fotografen vor, die Mitglieder der Gesellschaft fĂĽr Humanistische Fotografie sind. Gemeinsam ist ihnen ihr kritischer Blick auf gesellschaftliche Missstände und Konfliktsituationen weltweit sowie auf deren Auswirkungen auf Einzelpersonen und Gruppen.
In ihren Bildstrecken beziehen sie deutlich Position und greifen Themen wie die Situation der Frauen in Afghanistan (Lela Ahmadzai), die Auswirkungen nuklearer Katastrophen im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion (Robert Knoth) oder die körperlichen und seelischen Konsequenzen für US-Soldaten im Irak-Krieg (Nina Berman) auf. Enrico Fabian begleitete Müllsammler am Rande der Megametropole Neu-Delhi und Katharina Mouratidi porträtierte in ihrer Serie „Bescheidene Helden“ Trägerinnen und Träger des Alternativen Nobelpreises.
Jenseits medialer Tagesaktualitäten verhelfen ihre Fotografien Menschen, die von Krieg und Globalisierung betroffen sind, zur Sichtbarkeit und zeigen einmal mehr die Bedeutung engagierter Autorenfotografie in der heutigen Zeit.
„The Critical Camera – Fotografie an Brennpunkten der Welt“ ist eine Ausstellung der Gesellschaft fĂĽr Humanistische Fotografie in Kooperation mit bild.sprachen.
Bis 18. Januar ist im Wissenschaftspark Gelsenkirchen noch die Ausstellung „Tandem – Fotolehrende und ihre Studierenden“ zu sehen. Die Ausstellung „Ückendorf_scans“ mit Fotoarbeiten von Kurt Hörbst wird mindestens noch bis zum 1. Februar am selben Ort gezeigt, wahrscheinlich aber länger.
Sehr sehenswert ist die Ausstellung „hier sind wir“ mit freien Auftragsarbeiten zu dem internationalen Stadtteil Ückendorf in der Stadtteilgalerie bild.sprachen in der Bergmannstr. 37 (noch bis 26. April). Wenn künstlerisches Engagement auf spannende Themen trifft und die fotografische Arbeit dann auch noch bezahlt wird, kann Großartiges entstehen.
Und hinweisen möchte ich schon jetzt auf die “bild.sprachen reloaded – Plattform fĂĽr Fotografie” am 28. und 29. November 2014 im Wissenschaftspark Gelsenkirchen. Unsere Messe wird sich neu erfinden. Miterfinder und Akteure sind schon jetzt mit ihren Ideen willkommen.
Noch mehr Ausstellungen im Ruhrgebiet:
Einen besonderen Besuch wert ist aktuell immer noch das Museum Folkwang mit den Ausstellungen von Douglas Gordon und Taryn Simon (bis 2. März) und der Sammlung Scheidegger (bis 16. Februar).
Interessant ist sicher auch die Ausstellung von Herlinde Koelbl „Kleider machen Leute“ im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte.
BĂĽcher von und ĂĽber Fotografen
Empfehlen möchte ich auch einen Blick in den online-bookshop des Pixelprojekt_Ruhrgebiet. Hier findet man Bücher von Fotografinnen und Fotografen, die im Pixelprojekt_Ruhrgebiet vertreten sind und auch Ausstellungskataloge und Künstlerbücher – sprich ein ganz besonderes Angebot jenseits des Mainstreams.
Mit dem Phänomen der Fotobücher (in gefühlt allen Facetten) setzt sich das aktuelle Magazin von Freelens auseinander und informiert breit. Absolut lohnenswert. Wer noch nicht Mitglied ist, hätte somit ein Extra-Argument für eine Mitgliedschaft in dieser wichtigen Gemeinschaft. Aber vielleicht kommt man ja auch anders an das Magazin heran.
Diskussion
Extrem spannend finde ich die „New Industries Konferenz“ vom hardware Medienkunst Verein vom 16. bis 19. Januar im Dortmunder U. Es geht um Geld und Schulden in der postindustriellen Welt und es geht natürlich auch um die Schnittstelle zur Kunst. Einer der Höhepunkte ist sicherlich der Science Slam am 16. Januar um 20 Uhr.
Wir sehen uns!
Peter Liedtke ist Projektleiter bild.sprachen und Initiator von Pixelprojekt_Ruhrgebiet. Er gibt für ruhr.speak einmal im Monat persönliche Tipps zur Fotowelt (an der Schnittstelle zur Urbanität) im Ruhrgebiet, aber auch anderswo.