Das Potential der Panoramakamera
Auf den letzten Metern zur aktuellen ‘Konzernzentrale’ von Josef Koudelka Industries empfiehlt es sich, trittsicheres Schuhwerk zu tragen. Entsprechend einer Empfehlung des 82jĂ€hrigen Vorstandsvorsitzenden: um ein guter Fotograf zu werden, bedĂŒrfe es ânur ein Paar solider Wanderschuheâ. Und die sind ratsam, um den steilen Treppenaufstieg im Oberhauptturm am Schiffshebewerk zu absolvieren, um sich dann dem Industriemuseum im HafengebĂ€ude zu nĂ€hern. Darin sind 28 Fotopanoramen, Industries betitelt, zu bewundern.

Josef Koudelka Industries. Panorama: knsy
Die schmale langgestreckte Halle mit herrlicher Holzdecke: Aufbau, HÀngung und Licht sind akkurat, die 280 cm breiten schwarz gerahmten Koudelkas faszinieren. Sie zwingen zum Hinschauen, Verweilen, Jubeln ob ihrer Wirkung. Trotz des Themas Raubbau an und in der Erde, dem erbarmungslosen Abbau von Ressourcen und der Zerstörung der Natur. Schon das erste Motiv Black Triangle Region von 1983, Tschechische Republik, ein Hingucker. Ein Ballett aus Stop- und weiteren Verkehrsschildern am Beginn einer ausgeschöpften Kohlenmine.
So spannungsgeladen geht es weiter. France, Region of Nord-Pas-de-Calais. The Nord ‘department’, City of Dunkerque, 1987: Eine Pyramide aus hellem Sand (?) im Hintergrund, davor ein Oval aus gebrochenen Leitplanken. Eine Symmetrie zum Niederknien. In Skalpell SchĂ€rfe im gesamten Bildformat. Am selben Ort, selbe Zeit, ein Motiv aus Eisenbahnwaggons und Metallschrott â hinreissend strukturiert und scheinbar lebendig. Das passt ebenso auf das Motiv Germany, Brandenburg 1997 â es zeigt gewaltige Risswunden in der Erde.

Josef Koudelka Industries. Panorama: knsy
Schaurig schön das ausgeplĂŒnderte kontaminierte Ălfeld in Baku, Aserbeidschan, 1999. RĂ€tselhaft das Motiv Messinghausen, Germany von 2010. Unweit von Brilon aufgenommen, zeigt es eine Steinkugel im Streiflicht, die einen elliptischen Schatten formt. Ist sie Teil eines Wrecking Balls von einem Abbruchbagger?Aufnahmeort ist ein ehemaliger Kalksteinbruch der Firma Rheinkalk. Alles in allem Ăsthetik pur, ebenso wie Plant Flandersbach, Rhineland-Westphalia 1999. Ein helles, sanft geschwungenes ĂŒberdachtes Förderband durchschneidet die gesamte Bildbreite von 280 cm. Bei Flandersbach, unweit von WĂŒlfrath, liegt das gröĂte Kalkwerk Europas.
Hervorstechend, weil es als einziges Bild einen Menschen zeigt, ist France, Region of Nord-Pas-de-Calais. The Nord ‘department’, City of Dunkerque, 1987. Ein HĂŒttenwerker (?) mit Helm und Schaufel steht trotzig und gerade noch erkennbar in der Bildmitte. Und lĂ€dt ein zu Interpretationen.
Ein Motiv im Zyklus Industries fĂ€llt im Wortsinn aus dem Rahmen: Rahels Grab, Israel, 2009. Es zeigt nicht etwa das Grab der legendĂ€ren Matriarchin, sondern die israelische Sperranlage in Bethlehem. Irgendwo hinter den monströsen BetonwĂ€llen links und rechts befindet sich das Rahelgrab mit ihrer Kapelle, denn ursprĂŒnglich befand sich das Rahelgrab auĂerhalb der Sperranlage.

Josef Koudelka Industries. Panorama: knsy
Magnum-Fotograf Koudelka prÀsentiert seine von der Industrie umgeformten Landschaftsbilder, fotografiert zwischen 1987 und 2009, nicht als AnklÀger. Er betont, dass er zwar die Zerstörung schrecklich findet, jedoch nicht die zerstörten Gegenden als solche. In den zermalmten FlÀchen der genutzten und bebauten Landschaften entdeckt er Strukturen und Linien. So zeigen seine Fotografien die verborgene Ordnung hinter dem Chaos.
Eine direkte Botschaft enthalten die Bilder nicht, wie Dirk Zache, Direktor des LWL-Industriemuseums, betont: “Die ZukunftsfĂ€higkeit von Gesellschaften zu beurteilen, die mit ihren Ressourcen so verschwenderisch umgehen, bleibt den Betrachtern selbst ĂŒberlassen. Die Fotografien erlauben einen tiefen Blick in Landschaften, die durch den Eingriff des Menschen drastisch verĂ€ndert wurden.â
Dr. Arnulf Siebeneicker, Leiter des LWL-Industriemuseums Schiffshebewerk Henrichenburg:â Kein anderer Fotograf hat so deutlich gemacht, welche KrĂ€fte entfesselt worden sind, um die Natur der Industrie unterzuordnen.” In tagelangen Wanderungen erschloss sich JK die Standorte von StahlhĂŒtten, Kohlebergwerken und anderen Anlagen, bevor er seine Motive wĂ€hlte.

Josef Koudelka Industries. Panorama: knsy
Die FotoabzĂŒge stammen von Christophe Batifoulier/Picto.
Ăbrigens: Henri Cartier-Bresson haderte mit Koudelkas Panorama-Formaten und bezeichnete diese als Spaghetti-Fotos oder Schinkenstreifen-Bilder. Doch Koudelka beweist, welches Potential in einer Panoramakamera steckt.
Bis 4. Oktober
HafengebÀude
LWL-Industriemuseum
Schiffshebewerk Henrichenburg
Eine Kooperation mit Magnum Photos
Text: Hartmut BĂŒhler
Fotograf Panoramen: knsy.de