Über Vorbilder zu schreiben ist problematisch. Denn es endet häufig in einer eher unkritischen Eloge. Zur Ausstellung Klemm/Moses in Duisburg: Mich begeistern beide Kamera Magier. Über diese Granden der Fotoreportage und der „Königsdisziplin“ Portrait ist schon sehr viel geschrieben worden. Von Sprachmächtigeren als mir (siehe beispielsweise die Zitate von Christoph Stölzl und Durs Grünbaum – unten). 400 Exponate zeigt das Museum Küppersmühle MKM. Erstmals werden laut MKM-Direktor Prof. Dr. h.c. Walter Smerling Barbara Klemm und Stefan Moses zusammen gezeigt. Dies im Jahr 2014, zum 100. Geburtstag der legendären Leica-Kleinbildkamera, einem Handwerksgerät Klemms.
Zu den Hauptunterschieden zwischen Klemm und Moses: Klemm belieferte vor allem die Tageszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung. Moses Druckerzeugnisse wie den „Stern“, die Neue Zeitung (die NZ war eine nach dem Zeiten Weltkrieg in der amerikanischen Besatzungszone herausgegebene Zeitung, vergleichbar mit der Tageszeitung Die Welt in der britischen Zone und galt als bedeutendste Zeitung im Nachkriegsdeutschland) oder die Fotoagentur Magnum.
Klemm „reagiert“, Moses agiert bzw. inszeniert. Optisch gleichermaßen bezwingend wie überzeugend sind die Resultate beider Herangehensweisen.
Foto: KNSY / Kniel Synnatzschke
Beide Ausgestellten waren, so Kurator Prof. Dr. Andreas Bee, aktiv an der Vorbereitung der Ausstellung beteiligt. Die Bilder sind thematisch zusammengefasst, allerdings wurde darauf verzichtet, „die Fotografen einander gegenüber zu stellen und zu differenzieren“. Gezeigt werden die Klemm Serien: Künstler und Menschen im Museum sowie die Moses Serien Ostdeutsche Portraits 1989/90 und Emigranten. Kunstmarktexperte Stefan Koldehoff:” ´Der große Menschenfotograf ´ Moses ist ein Meister darin, die Identitätskrisen abzulichten.“
Fazit vorweg: nicht jedes Bild überwältigt, aber jedes ist ein Zeitdokument. Was ich gerne gestehe: ich beneide Königin Barbara und König Klemm um ihre Portraitsitzungen mit den Größen des Kulturellen Lebens. Persönlichkeiten begegnet zu sein wie Rose Ausländer, Ingeborg Bachmann, Simone de Beauvoir, Nadine Gordimer, Therese Giese oder Theodor W. Adorno, Ernst Bloch, Ludwig Marcuse, Thomas Mann, Erwin Piscator und diese zu fotografieren: welch ein Privileg. Die Erwähnten sind nur ein Auszug der von K / M abgelichteten Persönlichkeiten.
Stefan Moses – Ernst Deutsch. Foto: KNSY / Kniel Synnatzschke
Stefan Moses – Emigranten. Foto: KNSY / Kniel Synnatzschke
Was auch ungeschulte Besucheraugen im MKM registrieren dürften: beide Lichtbildner verfügen über eine eigene Bildsprache. Allein schon die schwarzweißen Bilder (Klemm: „Schwarzweiß ist Farbe genug.“) kontrastieren mit der täglichen bunten, meist banalen Fotoflut im Web oder trivialen Printprodukten – Klemm und Moses lösen aus, der große Rest knipst. So erweist sich denn diese Ausstellung auch als Sehschule pur.
Doch 400 Exponate sind beinahe zu viele: vielleicht hätte auch ein dritter Name gut in die Ausstellung gepasst: die aus Gladbeck stammende Regina Schmeken (*1955). Sie ist seit 1986 Redaktionsfotografin der Süddeutschen Zeitung (1996: Dr.-Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie). Und ebenfalls eine ganz Große.
Barbara Klemm – Andy Warhol. Foto: KNSY / Kniel Synnatzschke
Zitate:
Durs Grünbein, Lyriker, Essayist, Übersetzer: Die Jägerin. Eine Laudatio auf Barbara Klemm.
„Ihre Königsdisziplin […] ist das Porträt. Sie hat die Großen und die noch viel Größeren porträtiert, aber nie sieht man bei ihr Giganten, sondern immer nur Sonderlinge an ihren Arbeitsplätzen, kauzige oder quirlige Wesen in den verschiedenen Stadien der Selbstbehauptung. […] Einsamkeit wird bei ihr sichtbar als eine Funktion des Ambientes. Die Interieurs erzählen ihre ganz eigene Geschichte, hinterm Rücken des Abgebildeten.“ In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Februar 2010, Seite 9
Christoph Stölzl, Historiker: “Stefan Moses“ Bilder sind von dem dunklen Stoff Melancholie durchtränkt. Gedacht wird viel in diesen Begegnungen, gelächelt selten, gelacht fast nie.“
Walter Smerling: „Moses „verkörpert mit seinem Werk wie kein anderer die Soziologie der Deutschen…“… Klemm hat die … ‘gewöhnliche Pressefotografie’ in eine ergreifende Dokumentation des Zeitgeschehens verwandelt.“.
Zweifelsfrei: derzeit heißt MKM übersetzt Museum Klemm / Moses.
Stefan Moses: Portraits Heinrich Mann, Thomas Mann. Foto: KNSY / Kniel Synnatzschke
Prof. Klaus Honnef in Facebook am 03.11.: “Für die fabelhafte Ausstellung von Barbara Klemm und Stefan Moses im Duisburger Museum Küppersmühle – übrigens ein bestens geführtes Haus – gebe ich ein Dutzend Ausstellungen moderner Kunstfotografie. Zwei große Menschenfotografen. Und Klemm ist hier überzeugender als in ihrer Berliner Retrospektive. Auf Kunst (und die Begegnung mit ihr) und Künstler liegt der Duisburger Akzent. Und endlich wieder eine umfassende Museumsausstellung des einzigartigen Stefan Moses. Er hat – wie Thomas Ruff später – die Gattung der Porträtfotografie um eine bedeutsame Dimension erweitert – allerdings in die gegensätzliche Richtung. Moses ist ein ausgesprochener Menschenfreund. Jedem Bild sieht man es an. Schon wie er so etwas Unbeschreibliches wie Zärtlichkeit fotografiert! Entsprechend fotografierte er “die Deutschen” in einer Weise, dass sie nicht mehr ihrem Klischee entsprechen – mit Zuneigung. Ziemlich altmodisch und deshalb so aufregend anders. …“.
Der Kunstcharakter der Fotografie war und bleibt umstritten; zugespitzt formuliert der Kunsttheoretiker Karl Pawek in seinem Buch „Das optische Zeitalter“ (Olten/Freiburg i. Br. 1963, S. 58): „Der Künstler erschafft die Wirklichkeit, der Fotograf sieht sie.“
Stefan Moses: Dem vielfach vorgebrachten Vergleich mit den Portraits von August Sander widerspricht Moses – er sieht sich vielmehr von Irving Penn und Richard Avedon inspiriert: „Ja, ich glaube, das war für alle junge Fotografen damals Freude und Ariadnefaden. Da kamen – so unglaublich es klingt – von August Sander keine Anregungen.“
Aus Evelyn Runges Buch „Porträts als Erinnerungsarbeit“ Stefan Moses: Deutschlands Emigranten. Mit Texten von Christoph Stölzl, Wädenswil am Zürichsee: Verlag Nimbus, 2013.
Stefan Moses – Emigranten. Foto: KNSY / Kniel Synnatzschke
Stefan Moses – Emigranten. Foto: KNSY / Kniel Synnatzschke
Klemm / Moses sind Blockbuster, eine sichere „Bank“ für Museumsbetreiber. In diesem Zusammenhang gilt: Wann sehe ich hierzulande mal eine Ausstellung von Sven Marquardt oder Antoine D´Agata? Ihre Bilder, ihre spannend-schillernden Biografien, wären wie Vulkanausbrüche für die Medien. Ergo: sie sind Erfolgsgaranten für mutige Aussteller.
Das MKM Museum Küppersmühle zählt zu den größten deutschen Privatmuseen und liegt im Duisburger Innenhafen. Bis in die 70er Jahre lagerte in der “Küppersmühle” Getreide – seit 1999 dreht sich alles um die Kunst.
Von 1997-99 haben die Basler Architekten Herzog & de Meuron das ehemalige Mühlen- und Speichergebäude “Küppersmühle” mit seiner historischen Backsteinfassade zu einem dreistöckigen Haus für die Kunst mit einer Ausstellungsfläche von rund 3.600m² umgestaltet. Initiiert durch die Stiftung für Kunst und Kultur e. V. Bonn wird seit1999 die Küppersmühle als modernes Kunstmuseum betrieben.
Klemm / Moses
noch bis 18. Januar 2015
MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst
Innenhafen Duisburg
Philosophenweg 55
D – 47051 Duisburg
Text: Hartmut S. Bühler, Fotograf
Ausstellungsfotos: Christoph Kniel, Fotograf, KNSY.de