Streifzug der Woche #7 zum Tag des offenen Denkmals
“Der Ausgangspunkt allen Historischens ist das, was übrig bleibt”
Achim Landwehr – Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit
Vertane Chance
Das Oxygenstahlwerk der Maximilianshütte im bayrischen Sulzach-Rosenberg ist seit Anfang Juli in Abriss. Was erstmal wie eine Regionalie ohne Bezug zum Ruhrgebiet klingt, hat gravierende Auswirkungen auf die Industriedenkmalpflege in ganz Deutschland: Nach dem Abriss des Oxyenstahlwerks der Henrichshütte in Hattingen bot die Maxhütte die wohl letzte Möglichkeit, den Prozess der industriellen Stahlerzeugung aus Roheisen in Deutschland museal abzubilden und eine Anlage als technisches Denkmal zu erhalten. Was bei den vorlagerten und letztlich der Stahlerzeugung dienenden Prozessen Steinkohlenförderung, Steinkohlenverkokung und Roheisenerzeugung aus Eisenerz und Koks im Hochofen gelang, scheitert bei dem Ziel des Ganzen, der Erzeugung von Stahls eben aus Roheisen, wohl letztlich an mangelndem politischen Interesse.

Maxhütte Sulzbach-Rosenberg im Maximalausbau nach dem Modernisierungsprogramm der 1980er Jahre. Alle Fertigungsschritte von der Roheisenerzeugung (hinten) bis zum Walzen (vorne) sind auf kleinem Raum eng verzahnt. Das Stahlwerk ist das flache Gebäude oben rechts mit den drei markanten Fackeln und den Rohrleitungen auf dem Dach.
Für eine Musealisierung des Oxygenstahlverfahrens kamen praktisch nur die Anlagen in Hattingen und Sulzbach-Rosenberg in Betracht, da sie nach heutigem Verständnis außerordentlich kompakt waren. Das zwischen 1974 und 1977 grundlegend erneuerte Sulzbacher Werk verfügte über drei nur 65 Tonnen fassende Konverter. Das Hattinger Werk hatte als historischer Sonderfall sogar nur einen Konverter, und obendrein ein Elektrostahlwerk, die Sekundärmetallurgie zur Weiterbehandlung der Schmelze und die Stranggießanlage im gleichen Gebäude. Zum Vergleich: die beiden Konverter bei Thyssen in Duisburg-Bruckhausen fassen jeweils 380 Tonnen und das Stahlwerk allein nimmt fast so viel Fläche ein wie der angrenzende Ortsteil – Dimensionen, die sich einer Erhaltung außerhalb des Produktivbetriebs entziehen. Auch die anderen sechs deutschen Werke sind nicht essentiell kleiner, und natürlich laufen sie auch alle auf noch unabsehbare Zeit.
Zur Stahlerzeugung wurde auf der Maxhütte das OBM-Verfahren (Oxygen-Bottom-Maxhütte) entwickelt, 1970 eingeführt und kurz darauf zum KMS-Verfahren (Klöckner-Maxhütte-Stahl) abgewandelt. Bei beiden wird im Gegensatz zum bekannteren LD-Verfahren der Sauerstoff, mit dem die nicht erwünschten Bestandteile des Roheisens zu Schlacke oxidiert werden, nicht von oben durch eine Lanze, sondern durch Düsen im Boden des Konverters von unten in die Schmelze eingeblasen. Da kein Lanzenturm benötigt wird, konnte nicht nur das vorhandene Thomasstahlwerk einfach umgerüstet werden. Auch beim jetzt in Abriss stehenden Neubau waren Hallenhöhe und somit Volumen vergleichsweise gering, aus Erhaltungssicht ein weiterer Pluspunkt.
Auch insgesamt war die Maxhütte mit ihrer teilweise außergewöhnlichen technischen Ausstattung und Integration auf kleinem Raum interessant. Bereits 2002 wurde daher u.a. von der LEG NRW und Karl Ganser ein Denkmalplan entwickelt. Die CSU hält einen “großflächigen Rückbau” aber für “unumgänglich”. Erste Aggregate wurden bereits 2003, Teile des Stahlwerks ab 2016 demontiert.
Erhalten werden soll wieder ein einzelner Hochofen, obwohl die Roheisenerzeugung bereits umfassend dokumentiert ist. Fünf der sechs Öfen des Hochofenwerks wurden bereits abgerissen. Mit der Szenerie zu Betriebszeiten hat der heutige Anblick wenig zu tun. Interessant sind vor allem die oben abgeschnitten Winderhitzer links im Bild. Mit solchen Maßnahmen wurden zu Zeiten von EG-Stahlquoten die Einhaltung von Stilllegungen sichergestellt.
Die Geschichte der Maxhütte kann auch im gesamtdeutschen Maßstab als bunt bezeichnet werden und ist eng mit den schillernden Namen Friedrich Flick und Max Aicher verbunden. Ab den 1970er Jahren mischte praktisch die gesamte deutsche Branche mit. Obwohl in der sich 20 Jahre ziehenden Schlussphase zweitweise sogar der Freistaat Bayern bis zu 45% der Anteile am Werk hielt, war im September 2002 in der strukturschwachen Region auch für die verbliebenen 850 der zuvor mehr als 4.500 Beschäftigten Schicht. Gewinnung und Verhüttung von Eisenerz ist in der Region seit dem Jahr 1305 nachgewiesen, sie gilt als das “Ruhrgebiet des Mittealters”. Auch der rasante Aufstieg Nürnbergs im 14. und 15. Jahrhundert ist eng mit dem Oberpfälzer Eisenerzbergbau verknüpft.
In ihrem Aufsatz in der Fachzeitschrift Denkmalpflege in Westfalen-Lippe (PDF) beschreibt die Denkmalpflegerin Imme Wittkamp detailliert das Hattinger Stahlwerk, beklagt dessen Abriss als großen Verlust und setzt ihre Hoffnung auf die Maxhütte. Auch die wurde nun enttäuscht.
Industriedenkmale, Industriearchäologie, Industriekultur
Welche Anlagen und Bauwerke wie, wann und warum erhalten oder abgerissen, verwertet oder entwertet werden, ist auch Gegenstand zahlreicher Tagungen und Konferenzen. Genau passend das Thema von Big Stuff 2019: Preserving large industrial objects in a changing environment (PDF). Um Materielle Kulturen des Bergbaus geht es bei der montan.dok-Konferenz im Dezember. Und “hat die Denkmalpflege überhaupt eine echte Chance gegen den Veränderungs- und Verwertungsdruck von altindustriellen Anlagen? Und was bleibt dann von den Denkmälern übrig? Wie gut tut Industriekultur den Industriedenkmälern? Wie erinnert man sich in der Eventlocation, im Büro oder in der Kletterhalle an die industrielle Vergangenheit?” waren die Leitfragen der Jahrestagung der Landesdenkmalpfleger 2016. Markant die Unterscheidung zwischen Denkmalpflege und Industriekultur. Es ist ein Tagungsband (Vorschau-PDF) erschienen.
Welche Möglichkeiten zum Erkenntnisgewinn technische Denkmäler – oder auch materielle Hinterlassenschaften im breiteren Sinne – bieten können, hat Rainer Slotta im weiterhin lesenswerten Büchlein Einführung in die Industriearchäologie bereits 1982 knapp und präzise zusammengefasst. Er beschreibt das technische Denkmal als Informationsträger und “Ergebnis und Summe der Kultur- und Umwelteinflüsse”. Es kann “wesentliche Aufschlüsse über Wirtschaft und Ökonomie, Technik, Geschichte, Kunst, Religion, naturwissenschaftliche Verhältnisse, über Ökologie, Klima und Botanik, über Geologie und schließlich über soziale Verhältnisse” und ihre “Abhängigkeit von- und zueinander” vermitteln – kurz, man kann damit die ganze Welt aufschließen. Als Einführungsbeispiel bringt Slotta die hier schon erwähnte Grube Dr. Geier.
Industriekultur hingegen kann als große, vergleichsweise monolithische kollektive Erzählung verstanden werden. Was die mit dem Gedächtnis der einzelnen Menschen macht, untersucht Katja Artsiomenka in ihrer WDR-Sendung Familiengedächtnis, verfügbar bis zum 6. November. Sie bezieht sich dabei auf Didier Eribons Sicht, das Bürgertum erzähle seine Geschichte selbst, “das Familiengedächtnis der Arbeiter hingegen findet sich in Museen, Anekdoten und Mythen über Heldentaten, überall dort, wo es als kollektive Erinnerung” von anderen “zur Schau gestellt werden kann”.
Text: Haiko Hebig
Foto und Titelbild: Sammlung Haiko Hebig