Sie werden täglich mehr und eines Tages gehören Sie oder ich vielleicht dazu: zu den derzeit umgerechnet rund 1,2 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland. Mit der ständig wachsenden Zahl Älterer und Hochbetagter wird für das Jahr 2015 ein starker Anstieg betroffener Menschen auf etwa 1,6 Millionen vorhergesagt. Es ist an der Zeit, das Tabuthema Demenz in die Öffentlichkeit zu tragen und neue Perspektiven, eine positive Grundhaltung sowie Handlungsalternativen zu entwickeln.
Die Gefahr des Kontrollverlustes von Persönlichkeit und Gedächtnis hat den Fotografen Michael Hagedorn (47) bewogen, 2005 mit dem mittlerweile wohl weltweit umfangreichsten Fotografie- und Multimediaprojekt zur Demenz zu beginnen. Der in Rellingen bei Hamburg lebende Fotograf und Familienvater ist Mit-Initiator und Co-Organisator der 2007 gegründeten Demenzkampagne „Konfetti im Kopf“. Der Name der Initiative „Konfetti im Kopf“ geht auf eine Begegnung Hagedorns mit einem Demenzkranken zurück, dem Hagedorn während einer Basler Fasnacht begegnete. Beide waren über und über mit Konfetti bedeckt, was den Herrn zur Aussage bewog „und ich hab auch noch Konfetti im Kopf“.
„Ich suchte nach Wegen, meine fotografische Arbeit über Demenz möglichst vielen unterschiedlichen Menschen zugänglich zu machen, sie zu überraschen,” erzählt er. „Ein solches Vorhaben kann generations- und schichtenübergreifend nur durch eine starke visuelle Präsenz im öffentlichen Raum und über die Möglichkeiten sozialer Medien und Netzwerke gelingen.”
Michael Hagedorn bereiste mit seinen Kameras alle Kontinente, bevor er sich verstärkt den universellen Themen des Lebens widmete und sich schließlich auf Themen rund ums Alter, sowie die Darstellung schwierig zu erarbeitender und darzustellender Sachverhalte aus dem sozialen und Gesundheitsbereich spezialisierte. Hagedorn arbeitet für Printmedien wie Mare, Geo oder Die Zeit sowie in der Werbung. Er konzipiert und produziert komplette Imagekampagnen für Unternehmen, Stiftungen und Ministerien. Seine freien künstlerischen und Auftragsarbeiten wurden vielfach international ausgestellt und ausgezeichnet.
Seit 2005 arbeitet er an seiner Dokumentation – mehr als 40.000 Fotomotive entstanden bisher – über Menschen mit Demenz und begleitet dabei Betroffene und ihre Angehörigen mit der Kamera. Weil es Hagedorn gelingt, eine Beziehung und damit Vertrauen zu den Menschen aufzubauen, entstehen einzigartige und facettenreiche Portraits, die berührende, tragische und komische Geschichten erzählen: „Das Thema ist mir längst zur Herzensangelegenheit geworden.“
Was sofort auffällt: die Bilder haben nichts zu tun mit den düsteren Klischees, die man sonst mit Demenz verknüpft. Fotograf Hagedorn: „In der Regel assoziiert man mit Demenz ja einen völligen Verlust von Persönlichkeit und Lebensqualität. Im Laufe der Zeit traf ich allerdings viele einzigartige, eigenwillige Menschen mit Demenz, die ihr Leben durchaus zu genießen schienen und die buchstäblich im hier und jetzt leben.”
Woher kommt die Motivation für diese Arbeit? „Nirgends sonst lernte und lerne ich mehr über die Geheimnisse des Denkens, über die Macht der Erinnerungen, das Wesen des Menschen und damit auch über mich selbst. Nebenbei bemerkt: Alle meine Modelle sind im Wortsinne ungeschminkt ehrlich.“ Hagedorn arbeitet minimalistisch, meist ohne Blitzlicht und ohne Assistenz.
Seine Bilder sind weder in einem Museum noch in einer Galerie zu sehen. Eine Besonderheit dieser Kampagne ist der Eventcharakter mit prominenten Helfern und unterstützenden Firmen vor Ort. Die nächsten „Konfetti im Kopf“-Fotomotive werden in Hamburg gezeigt: vom 24. Mai bis 13. Juni 2013. Im gesamten Stadtbild und „mitten im Leben“ begegnet man dann auf Plakatwänden, Citylights und Großbannern an- und berührenden Farbfotoportraits von Menschen mit Demenz. Doch zu sehen sind keine deprimierten verwirrten Menschen, sondern Bilder von Betroffenen, die Lebensfreude, Staunen, Würde und Individualität ausstrahlen. Zuvor gab es Ausstellungen in Berlin und in Stuttgart-Feuerbach. Interessierte Städte können sich übrigens melden bei den Initiatoren von „KiK“: Liebes Ruhrgebiet – wie wäre es denn mit einer Bewerbung?
Die Übernahme der Schirmherrschaft für KONFETTI IM KOPF durch Bundespräsident a. D. Professor Dr. Roman Herzog ist ein besonderes Signal. Es weist uns darauf hin, dass wir alle aufgefordert sind, die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen anzunehmen. Nur wenn wir alle uns einmischen, kann für Menschen mit Demenz eine bessere Zukunft gestaltet werden. Getreu dem Motto Herzogs: „Die Kultur der Toleranz beginnt damit, zu akzeptieren, dass der andere anders ist.”
Weitere Informationen:
Konfetti im Kopf
Michael Hagedorn
Text von Hartmut S. Bühler
Alle Fotografien sind urheberrechtlich geschützt. © Michael Hagedorn