Wilfried Dechau, Vorsitzender architekturbild e.v., hat anlässlich der Ausstellungseröffnung “Europäischer Architekturfotografie-Preis 2009 + 2011 architekturbild” am 14. Februar 2013 im Wissenschaftspark in Gelsenkirchen persönliche Gedanken zur Architekturfotografie und zur Geschichte des Preises formuliert. ruhr.speak dokumentiert seine Rede.

Europäischer Architekturfotografie-Preis architekturbild, Shimizu Ken: Anerkennung im Wettbewerb 2009
Architekturfotografie – zumindest deren klassische Version – gilt als langweilig. Das stimmt sicher nicht so ganz, hat aber Gründe, die mit der Rolle zusammenhängen, die sie in der Regel zu spielen hat.
Architektur ist immobil, lässt sich aber mit Hilfe der Fotografie mobil machen. So schafft es Christian Wulfs Domizil – auf zwei Dimensionen geschrumpft – wenn’s denn sein muss, von Großburgwedel bis zu den Fiji-Inseln. Übers Internet, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher. Die Unmittelbarkeit eigenen Erlebens kann es aber nicht ersetzen, denn ein Foto ist immer nur ein Abglanz, nie die Sache selbst.
Die Villa des ehemaligen Bundespräsidenten scheint diese Auffassung zu widerlegen: Um die Biederkeit der Wulfschen Villa zu ermessen, muss ich nämlich nicht nach Großburgwedel fahren. Ich habe genug bundesrepublikanische Wildwest-Einfamilienhaussiedlungen gesehen, um mir allein aufgrund eines im Spiegel abgedruckten Fotos ein hinreichend genaues Bild machen zu können. Ob das Bild aber von einem Leser in Yogjakarta oder Wellington ebenso interpretiert wird, wage ich zu bezweifeln. Weil das Wissen um den gesamten soziokulturellen Kontext fehlt.
Gedruckter Schein und eigenes Erleben
Ein anderes Beispiel: Wie groß die Divergenz zwischen gedrucktem Schein und eigenem Erleben tatsächlich sein kann, habe ich bei Peter Zumthors Felsenbad registriert. Für Nicht-Architekten muss ich hinzufügen: Das ist so einer der Bauten, die zum Kanon gehören, mit anderen Worten: die man als Architekt mit eigenen Augen gesehen haben muss.
Ich kam kurz nach der Eröffnung des Felsenbades aus Vals zurück und stieß bei der Lektüre einer Architekturzeitschrift auf Fotos, auf denen ich das unvergleichlich schöne Bad nicht wiederentdecken konnte. Der grau melierte Valser Quarzit wirkte eher fad – wie stumpfer Beton, die Farben verfälscht und die mit den Fotos transportierte Lichtstimmung war voll daneben. Offenbar sperren sich die extremen Lichtverhältnisse und die nur über den Tastsinn zu erfassenden Eigenschaften der Steinoberflächen der Kamera. Wie soll man aber auch das Glatte, nicht Gleitende oder gar Glitschige der Böden mit der Kamera einfangen? Das teilt sich nur den Zehen, den Fingern, den Handflächen und der Fußsohle mit – und lässt sich in der Fülle aller Sinneswahrnehmungen wohl in Worte fassen, aber nur unzulänglich über das Medium Fotografie darstellen.
Das Beispiel Vals mag ungewöhnlich sein. Aber am extremen Beispiel wird deutlich, dass der Druck auf den Auslöser keineswegs automatisch das Wesen einer Sache einfängt. Nicht allein deshalb, weil beim Foto die Fülle sinnlicher Eindrücke auf das visuell mitteilbare Maß beschnitten wird. Falscher Standpunkt und unglücklich gewählte Blickrichtung können die mit dem Foto vermittelten Raumeindrücke so sehr verfälschen, dass sich der Betrachter des Fotos eine von der realen Situation völlig abweichende Raumvorstellung machen kann. Auf die Interpretation der Bildinhalte kann man sich nämlich nur verlassen, wenn Raumtypus und Maßstab, Strukturen, Materialien und Oberflächen durch Referenzobjekte, das heißt durch vergleichbare Vor-Bilder geklärt sind.
Denn ich sehe nur, was ich weiĂź.
Der vom menschlichen Auge erzeugte Raumeindruck entsteht nicht durch einen Augen-Blick, sondern durch ein ganzes Patchwork von unendlich vielen Einzelwahrnehmungen, denn das Auge kann jeweils nur ein extrem kleines, spotartiges Blickfeld scharf erfassen. Mit der Kamera kann – je nach Brennweite – mit einer einzigen Aufnahme sehr viel mehr gezeigt werden. Das fällt besonders bei Weitwinkelobjektiven auf. Tatsächlich bekommt man zwar »mehr drauf«, je weitwinkliger man fotografiert. Aber es ist wie verhext: Je mehr ein Foto abbildet, um so weniger erschließt sich der Raum bisweilen dem Betrachter. Bestes Beispiel: Die Beengtheit einer Sozialbau-Küche lässt sich mit der alles erfassenden Superweitwinkel-Aufnahme einfach nicht »rüberbringen«, auch oder gerade wenn alles zu sehen ist. Oder denken Sie mal an Ihre eigene Wohnung: Technisch wäre es ohne weiteres möglich, Ihr bestimmt nicht riesig großes Badezimmer mit Superweitwinkel so zu fotografieren, dass Sie es nicht mehr als Ihr eigenes wiedererkennen – weil es im Foto plötzlich so großzügig und riesig wirkt.
In solche Fallen, die der vermittelnden Wirkung eines Fotos entgegenwirken können, gerät man aber nicht nur bei der Objektivwahl.
Aufnahmestandpunkt, Ausrichtung der Kamera, Art der Kamera, Filter, Film, Licht und Schatten, Beleuchtung, Belichtung … können den mit Fotos vermittelten Eindruck einer Sache ebenfalls verändern, verfremden oder verfälschen. Daraus haben sich im Laufe der Zeit ungeschriebene Konventionen fĂĽr die dokumentarische Architekturfotografie entwickelt. Sie tragen einerseits dazu bei, Irritationen bei der Kommunikation ĂĽber das Medium Foto möglichst gering zu halten, andererseits haben sie dafĂĽr gesorgt, dass das Genre Architekturfotografie nur noch Architekten zum Genuss, anderen aber zur Langeweile gereicht.
Konventionen:
1. Architekturfotos werden aus normaler Augenhöhe aufgenommen. Extreme Standpunkte könnten zu einer – als unzulässig empfundenen – Dramatisierung führen.
2. Stürzende Linien sind verpönt. Aufnahmen werden in der Regel mit ordentlich horizontal ausgerichteter Kamera gemacht. Um dennoch alles »drauf« zu bekommen, arbeitet der Profi mit der Fachkamera, bei der durch Verschieben des Objektivs beliebig verschiedene Ausschnitte gewählt werden können ohne dabei die Perspektive zu verändern.
3. Extreme Bildwinkel (fisheye, Superweitwinkel) werden vermieden.
4. Dokumentarische Architekturfotos haben selbstverständlich scharf zu sein. Das künstlerisch reizvolle Spiel mit der Unschärfe ist tabu.
5. Extreme Schlagschatten werden vermieden. Gerade an diesem Punkt lässt sich gut ablesen, wie modeabhängig die Konventionen sind. In den Fünfziger und Sechziger Jahren war es – im klassischen Schwarzweiß-Foto – durchaus üblich, mit starken, dramatisch überhöhten Schatten zu arbeiten.
6. Extreme Filterungen werden vermieden. Farbfilter oder Glitzer-, Glanz-, Sternchen- oder sonst welche Effektfilter sind verpönt. Aber auch hier lässt sich wieder die Modeabhängigkeit erkennen: Die in den Fünfziger Jahren noch für das Nonplusultra gehaltene, mit Rotfiltern erzeugte, starke Überzeichnung des Himmels ist völlig »out« (mit Rotfilter lässt sich der hierzulande eher bleiern graue Himmel in der Schwarzweißfotografie bis zu einer dramatischen Schwarzfärbung treiben).
7. Mit dem Polarisationsfilter kann der als zu blass empfundene Himmel auch bei der Farbfotografie nachgedunkelt werden. Ob die dadurch erreichbare mediterrane Atmosphäre dem in Flensburg aufgenommenen Bild noch gut tut, darf angezweifelt werden.
8. Es gehört zu den Moden unserer Zeit, Gebäude zur »blauen Stunde«, in der kurzen Zeit zwischen Tag und Traum, zwischen Dämmerung und Dunkelheit zu fotografieren. Warum das so beliebt ist, lässt sich leicht erklären: Lichtdurchflutet vor langsam dunkel werdendem Himmel wirkt jede Architektur ansprechend, anheimelnd – und sei sie bei Lichte besehen noch so banal. Das weiß aber mittlerweile auch jeder einigermaßen clevere Redakteur. Er lässt sich von derart geschönten Bildern nicht hinters (blaue) Licht führen.
9. Menschen im Bild werden (vom Auftrag gebenden Architekten und von den meisten Zeitschriften-Redaktionen) in der Regel als störend empfunden. Da es tatsächlich sehr schwer ist, den Menschen im Bild so zu integrieren, dass er die intendierte Aussage nicht nur nicht stört, sondern sogar fördert, kommen Fotografen den Wünschen ihrer Auftraggeber nur allzu gern entgegen.
Heilsamer Schock
Wie bereits angedeutet, diese Konventionen können einerseits bei der Interpretation der Bildinhalte recht hilfreich sein. Andererseits haben sie aber auch zu einer Erstarrung der Disziplin Architekturfotografie gefĂĽhrt, aus der sie sich kaum befreien kann – was insbesondere jene betrifft, die in Redaktionen professionell mit Fotos umgehen und aus Ăśberzeugung oder aus Gewohnheit auf Einhaltung der Konventionen bedacht sind. Wie stark ich selbst all diese Konventionen internalisiert hatte, wurde mir schlagartig bewusst, als 1995 die Einsendungen zum ersten Architekturfotografie-Preis architekturbild auf dem Tisch lagen. Im ersten Moment war ich darĂĽber erschrocken, daĂź die meisten – und gerade die besten unter den Einsendungen – nicht den gängigen Konventionen und Sehgewohnheiten entsprachen und sich daher auch nicht nahtlos in die alltägliche Redaktionsarbeit integrieren lieĂźen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Doch der anfängliche Schock war heilsam. Machte er mir doch deutlich, dass ich als – damals noch – Redakteur von der groĂźen Bandbreite der Möglichkeiten, Architektur ins Bild zu setzen, nur einen verschwindend kleinen Teil nutzte.
Anfänglich hätte man noch annehmen können, der Effekt sei auf das schwierige Thema des ersten Preises zurückzuführen: Die Aufgabenstellung »Mensch und Architektur« gehört in der Architekturfotografie eher zu den Reizthemen. Doch auch beim nächsten Thema, das mit der Überschrift »Architektur schwarzweiß« eine eher klassische Domäne der Architekturfotografie ansprach, waren wir mit dem gleichen Phänomen konfrontiert: Die meisten und wiederum die besten unter den Einsendungen wichen deutlich von den üblichen Standards ab. Und spätestens ab diesem Zeitpunkt habe ich das Abweichen von den gängigen Konventionen als erfrischend deutliche Absage an die kaum noch weiter zu perfektionierende, oft genug aber glatt und oberflächlich bleibende, gut vermarktbare Gebrauchsfotografie begrüßt. Bei den dann folgenden Jahrgänge des Fotografie-Preises fand ich diese Beobachtung immer wieder aufs neue bestätigt.
Nach »Architektur schwarzweiß« kamen die Themen
»Architektur im Kontext«
»Visionen in der Architektur«
»Urbane Räume«
»Arbeitsplätze«
»Mein Lieblingsplatz«
»Neue Heimat«
und »Dazwischen«
Sich selbst ein Bild machen
Die Ergebnisse der letztgenannten Themen aus den Jahren 2009 und 2011 sind hier ausgestellt. Und ich kann Ihnen versichern: Auch beim jĂĽngsten, noch gar nicht publizierten Preis sieht es nicht anders aus. Kommen Sie Anfang Mai nach Frankfurt zur Preisverleihung und Ausstellung ind Deutsche Architekturmuseum (DAM) und machen sich selbst ein Bild.
Übrigens: Das DAM ist dieses Jahr in zweifacher Hinsicht attraktiv: Es wird nicht nur der inzwischen zehnte Preis architekturbild gezeigt, sondern darüber hinaus die Ausstellung »Der zweite Blick«, die einen Rückblick auf die Geschichte des Fotopreises architekturbild gestattet. Die Ergebnisse des Preises seit 1995 wurden dafür erneut gesichtet, neu juriert und kuratiert.
Kommen Sie am 3. Mai zur Eröffnung ins DAM – oder danach in die Doppel-Ausstellung.
Die Ausstellung “Europäischer Architekturfotografie-Preis 2009 + 2011 architekturbild” im Wissenschaftspark Gelsenkirchen ist noch bis 30. März 2013 zu sehen.

Europäischer Architekturfotografie-Preis architekturbild, Stephan Sahm: Erster Preis im Wettbewerb 2009

Europäischer Architekturfotografie-Preis architekturbild, Martin Roemers: Anerkennung im Wettbewerb 2009