„The Place to be“ im November ist für die Fotografie zweifelsohne Paris, schrieb Emil Sennewald in der ZEIT – und er hat recht, findet Peter Liedtke, der die Paris Photo 2012 besucht und seine Eindrücke für ruhrspeak aufgeschrieben hat.
Die „Paris Photo“ ist bekannt: Sie findet seit 1997 in Paris statt – in diesem Jahr vom 15. bis 18. November zum zweiten Mal im wunderschönen Grand Palais statt. Ich selbst war jetzt zum dritten Mal dort. Mir war bekannt, dass parallel zur Paris Photo alle zwei Jahre der „Mois de la Photo“, der Monat der Fotografie, stattfindet. Ich wusste allerdings nicht, dass parallel zur Messe zwei große Kunstauktionen laufen, eine bei Sotheby’s und eine bei Christie’s – überraschenderweise beide am gleichen Tag. Während Sotheby’s einen Umsatz von 1,5 Millionen Euro machte, waren es bei über Christies drei Millionen Euro. Den höchsten Preis erzielte eine Arbeit von Man Ray für 661.000 Euro.
Unbekannt war mir auch, dass in der Beaux-art de Paris (Akademie der Künste) die „offprint“ stattfand,ein Projekt aus Amsterdam mit Markplatz und Vorträgen. „offprint ist eine kleine Messe, vornehmlich für Fotobücher, Artist Books und Kataloge, die im Self – und Independent Publishing, auf Websites, Blogs und in sozialen Netzwerken entstehen – also eigentlich auch ein Ort für Pixelprojekt_Ruhrgebiet und ruhr.speak.
Und unbekannt war mir auch, dass die Galerien in St. Germain rund um die Rue de Seine zum zweiten Mal eine gemeinsame Aktion unter dem Titel: „Voyages et Rêves à Saint-Germain-Des–Prés“ mit Fotoschwerpunkt veranstalten.
Bei einem langen Wochenende in Paris ist dies ein Angebot, das man in Gänze unmöglich nutzen kann. Aber man hat ja die Möglichkeit der Auswahl – grundsätzlich. Grundsätzlich – weil es leider keine wirklich gemeinsame Kommunikation gibt, auch wenn Julien Frydman – ehemaliger Geschäftsführer von Magnum Photos und Macher der Paris Photo, das Gegenteil behauptet.
Fragt man am Infocounter der Paris Photo nach einem Programm des Mois de la Photo, scheinen die charmanten Damen von der Aktion zum ersten Mal zu hören. Fragt man in der Maison Européenne de la Photographie, die auch für den Monat der Fotografie verantwortlich ist, nach der Paris Photo, erfährt man ein wenig despektierlich, dass es sich da lediglich um eine viertägige Verkaufsmesse handelt und es ansonsten keine großartigen Gemeinsamkeiten gibt. Immerhin zählen ja auch die französische Kultusministerin Aurelie Filippetti und der Bürgermeister von Paris zum Ehrenkomitee der Kunstveranstaltung.
Fragt man nach den Zusammenhängen in der Magnum Galerie, einer der Teilnehmerinnen an der St. Germain Fotoaktion, so erfährt man immerhin, dass alle Aktionen unabhängig stattfinden, aber ansonsten schon zur „großen Familie der Fotografie“ gehören. Tja, zumindest geht es um das gleiche Medium.
Für Magnum Photos scheint das am ehesten zuzutreffen. Die 1947 von den vier Fotografen Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, David „Chim“ Seymour und George Rodger in Paris gegründete Agentur hat neben Büros in New York, Tokio und London natürlich auch ein Büro in Paris und zwar im zentralen aber auch nicht übertrieben schicken Stadtteil Clichy. Wer an der Agentur vorbeikommt, muss schon sehr genau hinsehen, um das kleine Firmenschild zu entdecken.
Ich hatte mit ca. 30 anderen DGPh-Mitgliedern die Gelegenheit, eine Führung mit Andrea Holzherr mitzumachen. Sie ist Exhibition Managerin und Cultural Developerin und hat nahezu jede Frage ausführlich beantwortet. Andrea Holzherr wird außerdem im kommenden Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg (14.9.-10.11.2013) die Ausstellung „Grenzgänge – Magnum: Trans-Territories“ kuratieren und der Redaktion ruhrspeak im Vorfeld für ein „Drei Fragen an“-Interview zur Verfügung stehen.
Doch zurück: Auch an Magnum ist die Entwicklung des Fotomarktes nicht spurlos vorüber gegangen. Im Segment Editorial ist z.B. der Personalstamm von acht auf zwei Mitarbeiter im Pariser Büro zurückgegangen. Andererseits hat sich die Agentur neue Märkte erobert. Ab den 1980er Jahren kam der Geschäftszweig mit Verlagen und für Poster und Postkarten dazu, 1988 der Ausstellungs- und Buchmarkt im Department Culturell und schließlich ab 2002 der Markt mit signierten Collector Prints. Den Markt für diese erschloss sich die Agentur über die Paris Photo.
Ein weiterer Schritt war dann die Verlegung der Magnum Galerie von Clichy in die angesagte Galeriemeile in St. Germain. So kommt es, dass Magnum Photos nicht nur auf der Paris Photo vertreten ist, sondern auch in der St. Germain Fotoauktion. Für die Auktion bei Sotheby’s hat die Agentur eine Mappe mit 65 Nude Fotos mit einem Schätzpreis von 100.000 bis 200.000 Euro zusammengestellt und war somit auch hier vertreten.
Über die Fondation Henri Cartier-Bresson, die eine Ausstellung zu dem Werk Ci-Contre von Moi Wer von 1931 zeigt, ist dann Magnum indirekt auch Teil des Mois de la Photo – aber auch über den neuen Ausstellungsort Le Bal, der von Diane Du four (ehemalige Direktorin von Magnum Photos) geleitet wird und eine wunderbare Ausstellung zu dem britischen Fotografen Paul Graham zeigt.
Graham hat 2012 den mit 1.000.000 schwedischen Kronen (ca. 115.000 Euro) dotierten Hasselblad Preis gewonnen. Es wundert daher kaum, dass das schwedische Kulturinstitut Paris während der Messetage einen Talk mit Bildern zwischen David Campany (Autor, Künstler und Kurator) und Paul Graham arrangiert hat.
Aber es gibt natürlich auch andere Fotoausstellungen, die aus wiederum nicht nachvollziehbaren Gründen nicht Teil eines der durch Marketing hervorgehobenen Events sind. Hier denke ich an die Ausstellung „Voici Paris“ im Centre Pompidou. Hier wird die Sammlung von Christian Bouqueret aus den 1920er bis 1950er Jahren gezeigt, die als ein besonders wertvolles Kulturgut gilt und die durch einen merkwürdigen Deal an das Museum gegangen ist. Der Konzern Yves Rocher, der als der Sponsor der Sammlung an das Museum genannt wird, konnte die Sammlung für einen unbekannten Betrag kaufen und damit 90 Prozent Steuernachlass erhalten. Gut für das Museum, gut für die Fotografie, gut für den Sponsor, schlecht für den französischen Staat und seine sonstigen Aufgaben.
Mein persönliches Highlight war die Ausstellung des Preisträgers der Stiftung Carmigan, Robin Hammond. Die Stiftung vergibt jährlich einen Förderpreis in Höhe von 50.000,- Euro für die Produktion einer fotojournalistischen Arbeit, organisiert eine Ausstellung in der Kapelle der Beaux-Art und gibt einen Katalog heraus und fördert so die journalistische Fotografie.
Hammond (der außerdem von einer Jury unter Vorsitz der Magnum Fotografin Susan Meiselas ausgewählt wurde) zeigt uns eindringliche Bilder aus Zimbabwe, die ich nicht vergessen kann. Bilder des Elends, Bilder einer von HIV zermürbten Gesellschaft, in welcher Kinder ohne Eltern überleben müssen, ohne sauberes Wasser, Brot, Anerkennung und Zukunft, Erwachsene ohne Arbeit und Liebe. Kein Bild mit einem Lachen – dafür Resignation pur. In einem separaten Raum werden dann übergroße Portraits gezeigt und mit Tönen eines afrikanischen verzweifelt traurigen Gesangs kombiniert. Ich habe es nicht lange in diesem Raum ausgehalten und hatte anschließend auch Probleme in die mondäne Welt der Europametropole zurückzufinden.
Und schon gar nicht in die Paris Photo, in die Welt des Besitzes und des Handels, in die Welt der Wichtigen und derer, die wichtig erscheinen wollen, in die Welt, in der Namen wie der von David Lynch für Markenbildung sorgen sollen – wie im Feinkostladen Fauchon am Place de la Madeleine, wo man eine vom amerikanischen Kultregisseur Lynch gekennzeichnete Champagner- und Weinauswahl erwerben kann. Die Paris Photo liefert im Gegenzug die Fotoauswahl von David Lynch. Vielleicht präsentiert demnächst jemand die Briefmarkenauswahl von David Lynch?
Nicht, dass ich kein Fan von Eraserhead und Blue Velvet wäre. Aber verblöden lasse ich mich nicht.
von Peter Liedtke