Wer hat nicht schon mal davon getrĂ€umt, Protagonist einer Fotoausstellung zu sein – und das nicht nur im Bildformat ĂĄ la 30×40 cm, sondern in XXL? Das ist möglich geworden â und zwar in leibhaftiger KörpergröĂe im MaĂstab 1:1. Und die Wartezeit zwischen Aufnahmetermin und Ausstellung betrĂ€gt nur wenige Tage. Ausstellungsort ist der Wissenschaftspark in Gelsenkirchen, die Vernissage beginnt am 12. Dezember um 18.30 Uhr.Â
Als Studio fĂŒr den österreichischen Fotografen Kurt Hoerbst und seine 20 Modelle diente die Stadtteilgalerie âbild.sprachen-Fotografieprojekteâ in Gelsenkirchen-Ăckendorf. WĂ€hrend bei der herkömmlichen Portraitsitzung das Modell in der Vertikalen Position einnimmt, ist es bei der HoerbstÂŽschen Körperscan-Fotografie die Horizontale. Das Spiel mit Licht und Schatten entfĂ€llt. Zwei Blitzleuchten genĂŒgen, um das Modell entsprechend einer Reprofotografie zu beleuchten.
Eine Interaktion wie âKinn heben oder neigen, den Kopf nach links und rechts drehenâ gibt es nicht. Statt dessen legt sich das Modell auf den Boden und wird âneutralâ fotografiert. Ohne extra zu posieren prĂ€sentiert sich der Portraitierte und auf weiĂem Hintergrund und verrĂ€t dennoch viel ĂŒber sich selbst. Auch die gewĂ€hlte Kleidung ist eine Visitenkarte.
Vollformat-Digitalkamera auf Schienensystem
Antonio Manuel de Matos Horta, 57, portugiesisch-stĂ€mmiger Factory Manager einer ortsansĂ€ssigen Firma fĂŒr Rohrzubehör, wird gescannt – grafiert von Kurt Hörbst, 41. Dazu nimmt das Mitglied des Integrationsrates der Stadt Gelsenkirchen eine liegende Position ein und wird vor den Aufnahmen exakt vermessen. Horta wird von einer Vollformat-Digitalkamera, die an einem eigens konstruierten Schienensystem befestigt ist, fotografisch abgetastet und muĂ dafĂŒr minutenlang verharren. Bis zu 20 einzelne Aufnahmen werden angefertigt, die Hörbst dann am Computer zusammensetzt.
Den hohen Produktionsgeschwindigkeiten in der Fotografie stellt Fotograf Hörbst aus Apfoltern, MĂŒhlenviertel (Ăsterreich), ein auĂergewöhnliches Verfahren als Kontrapunkt entgegen. Seine Portraits entstehen im Sinne einer konzeptionellen Selbstverlangsamung.
Wenn die Bilder hĂ€ngen, entsteht eine magische Wirkung: 20 Ăckendorfer scheinen ĂŒber dem Boden zu schweben und sind gleichzeitig Teile eines eindrucksvollen Stadtportraits.
Von Beijing, Venedig, Wien und Darmstadt nach Gelsenkirchen-Ăckendorf
Die Bewerber mussten âgute ReprĂ€sentanten fĂŒr GE-Ăckendorfâ sein und erhielten nach dem Scan-Shooting ein von Kurt Hörbst signiertes Foto im Din A3-Format ihres Motivs. Eine Jury und der Fotograf traf die Auswahl der Portraitierten. WĂ€hrend der âDarmtstadt_scansâ in VerlĂ€ngerung der DarmstĂ€dter Tage der Fotografie 2013 entstand der Kontakt zwischen Kurt Hörbst und bild.sprachen-Koordinator Peter Liedtke.
So wurde denn das Kreativ.Quartier Ăckendorf zur fĂŒnften Station nach den aufsehenerregenden people_scans-Ausstellungen in Beijing, Venedig, Wien und Darmstadt.
Scannen und Schauen
Hörbst ĂŒber seine ureigene Scan-Idee: â2005 habe ich mit dem Projekt âlandscapes_scansâ begonnen, das sich mit sehr reduzierten LandschaftsoberflĂ€chen beschĂ€ftigte. Monochrome Landschaftsdetails sollten dabei hochauflösend wiedergeben werden, um jedes Staubkorn und jeden Grashalm erkennbar zu machen. Im Zuge dessen habe ich mir gedacht, dass dieses Scannen auch mit Menschen interessant sein könnte, um auch mit menschlichen OberflĂ€chen zu arbeiten. Die ersten Versuche, meine Familie mit dieser Apparatur zu fotografieren, haben ganz gut funktioniert. Nach einer ersten Ausstellung und der PrĂ€sentation bei einem Festival in Finnland habe ich âpeople_scansâ zunĂ€chst nicht mehr so intensiv weiterbetrieben, weil ich andere Projekte verfolgte … Die Ausschreibung aus Venedig kam genau zum richtigen Zeitpunkt â nachdem mein Scan-Projekt ausgewĂ€hlt wurde, betrieb ich es dort als Artist in Residence konsequent fĂŒr einen Monat lang und scannte VenezianerInnen ein. Auch das hat sehr gut funktioniert, und nebenbei sind viele GanzkörperportrĂ€ts entstanden.
Dann habe ich gemerkt, dass es interessant ist, wenn ich das Projekt etwas gröĂer denke: Wenn ich sage, ok, jetzt habe ich Venedig, vielleicht kann ich das auch in Wien machen, vielleicht könnte ich das mit Menschengruppen machen, vielleicht könnte daraus gar ein gröĂeres Gesamtbild der Menschen des frĂŒhen 21. Jahrhunderts entstehen. Ich weiĂ noch nicht genau, wo mich das tatsĂ€chlich hinfĂŒhren wird und ob dann tatsĂ€chlich so etwas wie ein Soziogramm unserer Gesellschaft herauskommt. Aber grundsĂ€tzlich war mir damals schon klar, dass es sinnvoll ist, weiter zu scannen und zu schauen, was dabei herauskommt.â
Vorerst auf zehn Jahre ist das People-Scans-Projekt geplant. Auf Statements ĂŒber seelische Befindlichkeiten, Familienstand, Berufe etc. der Portraitierten verzichtet Hörbst, er sei âkein Sozialwissenschaftlerâ. Ihm reichen zur Information der Betrachter der Vorname und Wohnort der Person.
âĂckendorf_scansâ
Internationale Fotokunstaktion mit Kurt Hörbst
11. Dezember bis 1. Februar 2014
Wissenschaftspark Gelsenkirchen
MunscheidstraĂe 14
Vernissage
12. Dezember 2013, ab 18.30 Uhr
KĂŒnstlergesprĂ€ch mit Kurt Hörbst
Musik: Choo Choo Panini mit Nelly Köster (Gesang)
und Radek Fedyk (Gitarre, Trompete/Loop Station).
Hörbst-Auszeichnungen:
U. a. 2010 Prix de la Photographie / Paris 2010 1st place – Book (Bideshi Photostudio)
2010 Fotobuchfestival in Kassel (Nominiert fĂŒr den Dummy Award 2010 mit Bideshi Photostudio)
2011 ARTE LAGUNA – ART PRIZE Gewinner des ART RESIDENCE 2011 in der Claudio Buziol Foundation in Venedig mit dem Projekt VENETIAN SCANS
Mehr ĂŒber Kurt Hörbst:
www.people-scans.com
www.hoerbst.com
Ăckendorf: Im SĂŒdosten Gelsenkirchens, in und um den internationalen Stadtteil Ăckendorf, haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend Kreative angesiedelt. Ausgehend von der BergmannstraĂe mit der wohl gröĂten Galeriedichte im Ruhrgebiet ĂŒber das Baudenkmal Heilig-Kreuz-Kirche, der preisgekrönten Glasarkade des Wissenschaftsparks Gelsenkirchen, den Ateliers in GebĂ€uden der ehemaligen Zeche Rheinelbe bis zur KĂŒnstlersiedlung Halfmannshof wird das Kreativ.Quartier Ăckendorf sichtbar.
Die Aktion und Ausstellung werden gefördert durch das Ministerium fĂŒr Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und die Stadt Gelsenkirchen.
Fotos: Kurt Hörbst
Text: Hartmut S. BĂŒhler