Eve Arnold (1912-2012) – ein Fotografinnenleben. Arnold, das bedeutet sechs Jahrzehnte Reportagefotografie bzw. Fotojournalismus par excellence. Auf mehr als 750.000 Fotos hielt die autodidaktische Fotografin politische Ereignisse und soziale Reformen fest, begegnete Ikonen der Zeitgeschichte und Menschen “aus dem Volk”: ruhr.speak geht aber weniger auf nachlesbare Fakten der beruflichen Biografie ein, sondern auf Arnolds Arbeits- und Denkweise sowie auf moralische Aspekte und lässt dafür Zitate “sprechen”.
Eve Arnold:
“In meinen Augen sollte ein Fotograf in erster Linie eine persönliche Haltung, eine ganz eigene leidenschaftliche Herangehensweise haben.”
“Und gegen Depressionen gab es natürlich den Times Square und den Broadway. Für eine Anfängerin in der Fotografie war New York City das ideale Umfeld. Ich sah eine Menge und lernte eine Menge. Ich lernte schnell, mich zu bewegen, sofort zu regieren oder den geeigneten Moment abzuwarten.”
“Bei Dreharbeiten steht ein Fotograf im Weg und muss einen modus vivendi finden, um nicht zu stören. Der Drehort ist voller Fallgruben. Man darf keinen Schatten werfen, nicht über Kabel stolpern, vor allem bei Weitwinkelaufnahmen nicht ins Bild kommen, bei Tonaufnahmen nicht auf den Auslöser drücken und vor allem nicht in die Blickrichtung der Schauspieler geraten.”
Marilyn Monroe am Set von The Misfits, Nevada 1960.
Copyright: Eve Arnold/Magnum Photos
“Ich staune immer wieder über die wechselseitige Manipulation, die zwischen Modell und Fotograf stattfindet.”
“Die Monroe war seit Jahren so auf ihr Say Cheese-Lächeln getrimmt, dass sie vor Publikum oder Kamera fast roboterhaft reagierte.”
“Ehe wir anfingen, fragte ich Marylin: wer oder was wollen Sie am liebsten sein? `Die Venus von Botticelli` sagte sie.”
“Wenn mir ihre Arbeit nicht gefällt, dann werden sie nie wieder in Hollywood arbeiten”. Joan Crawford droht Eve Arnold, 1959
“Es ist ein hartes Geschäft, integer zu bleiben und doch für Geld sein Bestes zu geben.”
“Eve mochte nicht, wenn ich posierte. Sie war eigentlich Fotoreporterin.” (Isabella Rosselini am Set von ´Blue Velvet´, 1985)
“In China heisst es, eine schöne junge Frau sei eine Verheißung, eine schöne alte Frau indessen ein Kunstwerk.”
EGYPT. Valley of the Kings. Egyptian Woman 1970
Copyright Eve Arnold/Magnum Photos
“Ich wollte in ihre menschliche Befindlichkeit vordringen, um einen Eindruck von ihrem Wesen hinter der Fassade zu bekommen.” (China, 1979)
“Es war eine schwierige fotografische Aufgabe, verhüllte Gestalten als Frauen kenntlich zu machen.” (Afghanistan, 1969)
“Ich habe das Gewöhnliche fotografiert und das Außergewöhnliche.” – Sie fotografierte stets beides – “das Bescheidene und das Erhabene”. (Elliot Erwitt, 2009)
“Lektion eins: achte darauf, dich mit deiner Kamera zurückzuhalten.”
“Ich war arm, und ich wollte die Armut dokumentieren. Ich hatte ein Kind verloren und war besessen vom Thema Geburt. Ich interessierte mich für Politik und wollte wissen, was für Auswirkungen sie auf unser Leben hat. Ich bin eine Frau, und ich wollte mehr über Frauen wissen” (aus ihrem Buch “The Unretouched Woman”)
Ausstellungsfoto: Hartmut S. Bühler
“Sie nahm kein Stativ zu Hilfe, sie benutzte keine Beleuchtung oder Blitzlicht.” (Sara Stevenson, 1999)
“Fotografinnen, das muss gesagt werden, sind heute wie in der Vergangenheit bei Magnum unterrepräsentiert.”
“Der erste Filmstar, den ich in aller Ausführlichkeit fotografierte, war Marlene Dietrich. Sie war für mich ein Glücksfall, denn sie war ausgesprochen professionell. Diese eine Story war für mich der Anfang meiner Karriere als Fotografin von Berühmtheiten und Stars.”
Für ihre Rechte verzichtet Arnold auf Honorar: “Magnum war von Columbia Records informiert worden, ich könne entweder 25 Dollars bekommen, dann würden die Negative von Dietrich ihnen gehören, oder aber auf mein Honorar verzichten und die Negative behalten.”
“Von Elliot Erwitt lernte ich, dass es möglich ist, Lachen und Humor in Fotos zu entdecken.”
“Man kommt näher an die Leute heran, wenn sie bei der Arbeit sind… Mühseligkeit ist Teil der Arbeit. Ich respektiere sie und wollte niemanden überfallen.” (Afghanistan, 1969)
“Zutiefst beeindruckt war ich von der ungeheuren Würde dieser Zulu-Frauen. Als hätte ihnen das qualvolle Kämpfen für ihre Rechte eine wahre moralische Überlegenheit verliehen.” (Südafrika 1973)
“Sie hatte ein besonderes Talent, das Vertrauen der von ihr Portraitierten zu gewinnen…, was sich in ihrem gesamten Werk zeigt.” (Elliot Erwitt, 2012)
Die Zitate sind der Ausstellung bzw. der Ausstellungsbroschüre sowie dem Web entnommen.
Eve Arnold in memoriam 2012. Eine Dia-Show von MAGNUM Photos.
Ausstellungsfoto: Hartmut S. Bühler
Philadelphia
Als Kind russischer Einwanderer repräsentiert Arnolds Lebensgeschichte ein Stück weit den amerikanischen Traum: 1912 wird Eve Arnold als Tochter einer russisch-jüdischen Einwandererfamilie mit neun Kindern in Philadelphia/ Pennsylvania geboren und wächst in einfachen Verhältnissen auf. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt als Buchhalterin eines Immobilienmaklers und studiert in der Abendschule Medizin.
New York
Als ein Freund ihr jedoch die erste Kamera – eine Rolleicord – schenkt, ändert sich ihre gesamte Lebensplanung. Ende der 1940er Jahre beginnt sie ihre Karriere als Autodidaktin mit einer Rolleicord-Kamera und sie zieht 1946 von Philadelphia nach New York, beginnt dort einen Job als Fotolaborantin und belegt 1948 einen Fotografie-Kurs an der New School for Social Research bei Alexey Brodovitch, dem Art Director der Modezeitschrift Harper’s Bazaar. Im Rahmen des Kurses entstehen ihre Aufnahmen von Modenschauen in Harlem, mit denen sie erste Berühmtheit erlangt.
Europa
1948 heiratet sie den Industriedesigner Arnold Arnold, mitsamt des Sohnes siedelt die Familie 1961 dauerhaft von New York nach Großbritannien um.
1957 tritt sie – neben Inge Morath und zeitgleich als eine der ersten Frauen – der Fotoagentur MAGNUM bei. Ende der 1990er Jahre wird sie deren Vizepräsidentin.
Eve Arnold stirbt 2012 – kurz vor ihrem 100. Geburtstag – in London. Der Grande Dame des Bildjournalismus widmet die LUDWIGGALERIE eine umfassende Retrospektive. Schwerpunkte der Oberhausener Schau bilden dabei die Reisefotografien aus Afghanistan, China, Indien und Südafrika sowie ihre Portrait-Studien von Berühmtheiten des 20. Jahrhunderts.
Eve Arnold (1912-2012)
Eine Hommage an die große Magnum-Fotografin
bis 7. September 2014
Ludwig Galerie Schloss Oberhausen
Konrad-Adenauer-Allee 46
46049 Oberhausen
Zur Ausstellung erscheint ein Booklet mit einem Beitrag von Julia Austermann (4 €)
Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Eve_Arnold
Museumspädagogische Angebote:
http://www.ludwiggalerie.de/site/content/paedagogik/schulangebote/index_ger.html
Wettbewerb für junge Fotografinnen:
http://www.ludwiggalerie.de/site/content/paedagogik/fotowettbewerb/index_ger.html
Text & Ausstellungsfotos: Hartmut S. Bühler
Anspruch und Wirklichkeit in den Fotografien von Eve Arnold
Die LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen mag von manchen Kunstausstellungs-Junkie ignoriert oder von ihm nur vom Rand seines Blickfeldes aus oberflächlich wahrgenommen werden. Schaut man allerdings genauer hin, entpuppt sie sich als ein Ausstellungsort, der ihn zu entdecken in mehrfacher Hinsicht lohnt.
Es sind nicht allein die Ausstellungen der letzten Jahre, die die Bandbreite fotografischer Perspektiven (Weegee – The Famous in der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen, Kritik vom 02.06.2013 oder HAIR! – Eine Kunstausstellung in der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen, in der man sich nicht wirklich die Haare raufen kann, Kritik vom 14.10.2013) zeigen sowie künstlerischen Arbeiten, die zum Kanon der Kunstgeschichte gehören (Bleibe einfach Du selbst! meint Andy Warhol – Andy Warhol-Pop Artist in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Kritik vom 22.01.2014) sie unter bisher weniger ebachteten Aspekten ausstellen. In der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen ist ein Team-Spirit zu spüren, der wie ein frischer Wind durch die Ausstellungsräume weht.
Der dafür hauptverantwortlichen Macherin per Funktion, der Direktorin Dr. Christine Vogt geht es mit dem Ausstellungsprogramm selbstverständlich auch um Generierung von Aufmerksamkeit. Für Kunstausstellungsräume ohnehin ein Muss. Dabei verlässt sie sich, und das ist das eigentlich Bemerkenswerte, nicht nur auf ihre eigene kuratorische Kompetenz. Sie gibt mit großem Vertrauensvorschuss ihren Volontärinnen die üblicherweise eher rare Chance, Ausstellungen eigenverantwortlich zu kuratieren. Dass das klappt und wie das klappt, zeigte der hohe Besucherzuspruch der von Meike Allekotte eingerichteten Ausstellung Andy Warhol-Pop Artist.
Jetzt bekam eine weitere Volontärin, Julia Austermann ihre Chance. Und sie nutzte sie, als hätte es bei der jetzt eröffneten Ausstellung Eve Arnold – Eine Hommage an die große Magnum-Fotografin (noch bis 7.September 2014) unter magnum gar nicht anders sein können. Während der Presseführung durch die Ausstellung überzeugte Austermann vor den einzelnen Arbeiten durch einen kompetent kommentierenden Duktus ihrer Hintergrundinformationen, die eine hohe Identifikation mit den Foto-Arbeiten von Eve Arnold erkennen ließen. Ar-nolds Credo Das Instrument ist der Fotograf, nicht die Kamera. stellte die junge Kuratorin ihrem die Ausstellung begleitenden, informativen Textbuch voran und gibt damit eine programmatische Vorgabe, die sich in der Ausstellungskonzeption überzeugend widerspielgelt.
Geht man chronologisch durch die Ausstellung, begegnet man mehr als 60 Jahre eine Geschichte der Weltkulturen. Angefangen bei den Backstage-Fotografien einer Modenschau in der Abyssinian Baptist Church in Harlem (1950), bei denen immer mitzudenken, dass sich Arnold als weiße Frau traute (und akzeptiert wurde!) in einem damals fast ausschließlich von Schwarzen bewohnten Ghetto-Bezirk zu fotografieren, über die fast 10 Jahre andauernde Begleitung von Marilyn Monroe (vgl. Am Set von The Misfits, Nevada, 1960) sowie die frühen Reisen nach Asien, wo sie mit der Buddha-Statue von Bamiya (2001 von militanten Taliban zerstört) eine fotografische Dokumentation schuf. Und immer wieder fotografierte sie in sozial, politisch und kulturell brisant aufgeladenen Regionen, anteilnehmend am Schicksal derer, die vor ihrer Kamera bereit waren, ihrer Gesicht zu zeigen (Südafrika 1973 in der Hoch-Zeit der Apartheid-Politik; Malcom X und The Nation of Islam, um 1960).
Wunderbar in der Ausstellung zu sehen, mit welchem die Sache, respektive Person konkret (aus)zeichnenden Blick sie mit der Kamera zeichnete (Braut, Hindukusch, 1969). Ihre Sympathie und Empathie für die Fotografierten ist in jeder einzelnen Fotografie spürbar. Verhüllte Gestalten als Frauen kenntlich machen, war so ein ambitionierter Anspruch. Es blieb nicht beim folgenlosen Anspruch. Er wurde von Arnold fotografisch authentisch gestaltet (Reportage hinter dem Schleier, 1969 – 71).
Hat man sich in der Ausstellung staunend mit Respekt ein umfangreiches Bild ihrer fotografischen Arbeiten verschafft, ist man überrascht, wie zierlich und zerbrechlich Eve Arnold in einem Video-Interview aus den 2000ger Jahre zu sehen ist (sie starb 2012 kurz vor ihrem 100.Geburtstag!). In der Ausstellung gibt es zwar ein Foto von ihr bei der Arbeit (Robert Penn, Eve Arnold am Set von Beckett, England 1963), aber ein Bild ihrer faszinierenden Persönlichkeit, wird erst mit der Video-Dokumentation facettenreich ausgeleuchtet. Fast beiläufig zu Beginn des Interviews ihr Statement: Photography is my universum. That’s, what I’ve skillfully. Ihre Stimme, klangschön alt-temperiert, ist wie die Ton gewordene Ergänzung zu ihren Fotografien.
Eve Arnold in der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen in Kooperation mit MAGNUM PHOTOS ist eine Ausstellung, die nicht ignoriert werden kann. Die Macht und Kraft von Arnolds Fotografien haben eine historische, kulturgeschichtliche Bildungsdimension und eine optisch ästhetische Qualität, von der schwer vorstellbar ist, nicht von ihr berührt zu werden.
01.06.2014