Im Streifzug der Woche vom 17. November 2017: Eine Grenze vor 30 Jahren, eine Grenze heute und Neues zur Maxhütte, zu China in Deutschland und zum geplanten ‘Nationalen Fotoinstitut’
30 Jahre “Nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich”
“Pure Neugierde, pure Fassungslosigkeit”: Fotos von Andreas Rost aus dem Frühjahr 1990 – “Wir saßen am Runden Tisch mit Leuten zusammen, die uns ein paar Wochen vorher noch in den Knast bringen wollten. Das war eine schöne philosophische Übung.” Einige der Fotos waren auch bei F/Stop in situ zu sehen, das Buch dazu erscheint Ende des Monats.
The Lost Border: Langzeitprojekt von Brian Rose
Amateurmaterial: Wir waren so frei, 7.000 Privataufnahmen der Wendezeit, auf der Website von 2008 leider nicht gut abrufbar. Ganz neu: Open Memory Box, private Schmalfilme aus der DDR.
Immer nur den Radfahrer auszupacken, wie arte es macht, greift beim Thema Fotografie (in) der DDR zwar etwas kurz, interessant ist der Kurzfilm über Harald Hauswald aber schon allein wegen seiner Tonspur: Beschreibungen seiner Fotos aus den Federn seiner Überwacher.
Genau passend dazu: “Die Recherche für dieses Projekt hat verdeutlicht, dass die Geheimdienstakten wenig über die Beobachteten, viel hingegen über die Ängste und Strategien der Beobachter*innen offenbaren.” – Ausstellung Artists & Agents – Performancekunst und Geheimdienste, noch bis Ende März 2020 beim HKMV in Dortmund.
Wer wissen möchte, was Hauswald von der Agentenprosa über ihn hält: Bonusfilm zum Radfahrer bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Auch der Hauptfilm ist dort zeitlich unbegrenzt zu sehen.
Ebenfalls bei der Bundeszentrale für politische Bildung: Feindbilder, Stasi-Dokumente als Zeitzeugnisse der innerdeutschen Grenze – “Die Stasi und ihre Fotospitzel [schufen] ein einmaliges historisches Archiv deutsch-deutscher Teilungsgeschichte.”
Diese bei der Stasi-Unterlagenbehörde gelandete Sammlung hat nicht nur Holger Kulick für seinen Film genutzt, sondern sie bildet auch die Basis so unterschiedlicher Arbeiten wie Simon Menners Surveillance Complex, Arwed Messmers Inventarisierung der Macht und dem kürzlich erschienenem Sunset von Jens Klein. Alle drei Fotografen sind auch bei Artists & Agents vertreten.
Margret Hoppe: Die verschwundenen Bilder // Ulrich Wüst // Und aus Kunstforum Band 263, Neubewertung einer Kunstlandschaft, gegen Ablieferung einer E-Mail-Adresse: Fotografie in stillgestellter Zeit, Übersichtsartikel von Christoph Tannert.
In dieser Woche
Einige Themen aus früheren Streifzügen wurden wieder aktuell:
Von Montag bis Mittwoch wurde der letzte Konverter des Maxhütten-Stahlwerks aus Streifzug 7 kleingeschnitten. Damit ist das Thema technisches Denkmal der Oxygenstahlerzeugung in Deutschland erledigt. Wer sich das Elend antun möchte: es gibt eine Webcam mit Rückspultaste.
Am Dienstag kam das erste Frachtschiff mit Containern aus China auf Rügen an: Der infrastrukturell erstklassige, momentan aber etwas überdimensionierte Hafen Mukran wurde in den 1980ern zur Versorgung der sowjetischen Truppen in der DDR gebaut und soll jetzt Verteilzentrum für den Ostseeraum der “Neuen Seidenstraße” werden. Am im Streifzug 3 besprochenen Duisburger Ende des Verkehrswegs macht man sich wenig Illusionen, wer bei der geplanten Intensivierung des China-Geschäfts Koch und Kellner ist: “Man könne zum Beispiel darauf achten, dass Arbeitsschutzbedingungen eingehalten würden”. Dass die eigenen “moralischen Werte und Interessenslagen” beim Umgang mit China “besonders abgewogen”, sprich, China nicht kritisiert werden sollte, findet auch Siemens-Chef Joe Kaeser, und zunehmend offen vor allem China selbst. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, ist da schon weiter: “Die Unternehmen müssen mehr Konflikte mit den chinesischen Ansprüchen eingehen, wenn sie in ihrer normativen Fundierung in der sozialen Marktwirtschaft glaubwürdig bleiben wollen.”
Und nachdem es um das in Streifzug 2 erwähnte “Deutsche Fotoinstitut” wieder ruhig geworden war, hat der Bundestag am Donnerstag eine Finanzierungszusage für einen Neubau im Düsseldorfer Ehrenhof gegeben. Just für diese Stelle hatte das vom früheren Chef der Kunstsammlung NRW Hagen Lippe-Weißenfeld geleitete Architekturbüro “ohne Mandat”, wie die Rheinische Post es ausdrückt, einen Bauentwurf vorgelegt und sein Projektbüro ein inhaltliches Konzept.
Und sonst?
Best of Luck with the Wall von Josh Begley, Interview und Intercept-Artikel dazu.
Text: Haiko Hebig
Titelbild: Josh Begley