Bettina Steinackers Ausstellung âNeue Landschaften â Soziale RĂ€umeâ in der VHS Galerie Herne-Wanne hat zwei deutlich voneinander geschiedene Teile. Beide sind im Ruhrgebiet entstanden, trotzdem liegen Welten zwischen ihnen. Ein genauer Blick zeigt jedoch: Der Titel âSoziale RĂ€umeâ könnte auch fĂŒr beide Ausstellungsteile gelten.
ZunĂ€chst zum Ausstellungsteil “Neue Landschaften”. FĂŒr Bettina Steinacker bezieht sich der Titel ihrer Serie nicht auf die Art der Landschaft, sondern auf ihren neuerlichen Zugriff auf das Thema. Aber auch in einem anderen Sinne zeigt sie neue Landschaften: Zu sehen ist nĂ€mlich die alte Industrielandschaft des Ruhrgebiets (mit wenigen kleinen Schlenkern an den Niederrhein), die ja, wenn man sie mit eigentlichen, ursprĂŒnglichen Naturlandschaften oder alten Kulturlandschaften vergleicht, auĂerordentlich neu ist – trotz der etwa 160 Jahre, die sie mittlerweile zĂ€hlt.
Aber was genau ist denn neu an dieser Landschaft? Die Motive sehen doch auf den ersten Blick ganz harmlos und “normal” aus!
Bettina Steinacker hat sich fĂŒr ihr Projekt ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum fotografierend in den Arealen zwischen den Revier-StĂ€dten bewegt. Diese ZwischenrĂ€ume durchziehen die Stadtlandschaft Ruhrgebiet wie die Fettadern ein gutes Steak, sind ein Merkmal fĂŒr QualitĂ€t!
Manchmal ganz schmal, manchmal aber auch so ausgedehnt, dass man meint, man habe den Ballungsraum Ruhrgebiet doch schon hinter sich gelassen, unterscheiden diese Zonen das Ruhrgebiet fundamental von anderen BallungsrÀumen weltweit.
Die ZwischenrĂ€ume grenzen Stadtteile und StĂ€dte voneinander ab und sind fest in der rĂ€umlichen Orientierung der Bevölkerung verankert. Dort wĂ€chst wirklich Wald, Landwirtschaft wird betrieben, Tiere werden gehalten, viel-tausendfach Beete fĂŒr den Anbau von GemĂŒse und Zierpflanzen angelegt, kultiviert und genutzt.
Sie werden verteidigt, wenn es ihnen an den “grĂŒnen Kragen” gehen soll. Planer, die sich in ihnen â real oder gedanklich – bewegen, werden misstrauisch beĂ€ugt und genau beobachtet. Das Zusammenwachsen der StĂ€dte ist kein wirkliches Ziel im Revierdenken – gemeint in doppeltem Sinne, bezogen auf die Region insgesamt und auf âmein Revierâ vor der eigenen HaustĂŒr.
Teilt man diese Wahrnehmung, so kommt man nicht umhin, zu akzeptieren, dass es sich bei den Landschaften in Bettina Steinackers Serie um höchst soziale Stadt-RÀume handelt: Sie helfen, Gemeinschaften vor Ort zu definieren und von anderen zu unterscheiden,
Vor dem Hintergrund wird die Perspektive einer âRuhrstadtâ unmittelbar sehr fragwĂŒrdig und man beginnt sofort, ĂŒber alternative Entwicklungsziele fĂŒr den einzigartigen Ballungsraum “Ruhrgebiet” nach zu denken.
Es gibt aber noch einen weiteren guten Grund, diese Areale als “soziale RĂ€ume” zu verstehen und wahrzunehmen. Bettina Steinackers Fotos helfen dabei, ihn zu verstehen:
Schaut man nĂ€mlich genau hin, fĂ€llt in vielen Bildern auf, dass es sich nicht um Land handelt, dass ununterbrochen und im ursprĂŒnglichen landwirtschaftlichen Sinne Kulturland war und ist.
Sogar Motive mit scheinbar wildwĂŒchsigem Urwald zeigen einen jungen Wald, eine neue Landschaft. Man erkennt, dass es sich vielfach um eine Folgenutzung handelt: Diese Landschaft hat eine junge Geschichte, und die ist Menschen-gemacht, sozial gegrĂŒndet, menschliche TĂ€tigkeit hat sie geprĂ€gt.
GelĂ€nde-Profile (z.B. Deiche), bauliche Reste, so unscheinbar sie auch sein mögen, offensichtlich planvoll angelegte Erd-Formationen, Perspektiven auf Industriebauten im Hintergrund, Rohrleitungen und die vielfach sehr dominanten StromleitungstrĂ€ger machen es eigentlich unĂŒbersehbar: Die Geschichte der Nutzung dieser Landschaft ist jung und voller schneller Entwicklungen.
Die landschaftlichen Areale, die Bettina Steinacker uns vor Augen fĂŒhrt, haben ihre Chance zu entstehen und ihre heutigen QualitĂ€ten vielfach dem sehr komplexen politisch-sozialen Prozess der zweiten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts zu verdanken – insofern kann man sie eben mit gutem Grund auch als “soziale RĂ€ume” ernst nehmen, betrachten und sich an ihnen erfreuen.
Der zweite Teil der Ausstellung mit der Serie âSoziale RĂ€umeâ beschĂ€ftigt sich auf eine andere, unmittelbare Weise mit sozialem Handeln. Die gezeigten RĂ€ume sind Ort fĂŒr gesellschaftlich begrĂŒndetes Handeln, hier wird Menschen geholfen, die auf die eine oder andere Weise in Not sind.
Auf den ersten Blick fĂ€llt das nicht ins Auge, die Bilder sind in keiner Weise reiĂerisch oder gar provozierend. Auch sind sie, aus gutem Grund, menschenleer. Wer lieĂe sich schon gerne in einer Situation fotografieren, wo er/sie notgedrungen die Hilfe anderer in Anspruch nimmt.
Die “Sprache” dieser Fotografien ist ĂŒber alle Bilder hin ganz sachlich, prĂ€zise und berichtend. Bettina Steinacker bemĂŒht sich offensichtlich darum, die RĂ€ume unprĂ€tentiös und möglichst informativ wiederzugeben.
AnrĂŒhrend werden die Bilder im Zusammenspiel von Gezeigtem, aus der Beschriftung Gewusstem und aus der Imagination des Gebrauchs der RĂ€ume im Denken des Betrachters. Die Arbeiten werden â glĂŒcklicherweise â begleitet von erlĂ€uternden Texten, so dass man sich besser eine Vorstellung davon machen kann, wozu sie dienen
Die allermeisten von uns kennen solche RĂ€ume nicht, haben vielleicht davon gehört oder gelesen, wenn die Finanzierung der darin stattfindenden Arbeit mal wieder ungesichert ist und eine SchlieĂung droht â oder wenn ein neuer derartiger Raum in unserer NĂ€he eröffnet wird.
Die Bilder infizieren den Betrachter mit einer dumpfen Beklemmung und Trostlosigkeit , die bei der BeschĂ€ftigung mit den Arbeiten immer stĂ€rker wird. Zum einen, weil es so viele Aufnahmen sind und Bettina Steinacker berichtete, dass sie bei vielen anderen angefragt hatte. Auf gut Deutsch: es gibt noch viel mehr solche RĂ€ume im Ruhrgebiet und anderswo! Und gerade die Unaufgeregtheit und SelbstverstĂ€ndlichkeit der vorgefĂŒhrten NormalitĂ€t provoziert.
Diese RĂ€ume sind gut eingerichtet, ordentlich und gesĂ€ubert. Man sieht: Irgend jemand hat sich MĂŒhe mit ihrer Einrichtung gegeben. Die Möbel sind neu, die Farben sind frisch, alles Notwendige ist an seinem Platz, bereit zum Gebrauch. Irgendwer hat Geld dafĂŒr erbeten und erhalten. Irgendwer arbeitet dort, empfĂ€ngt Menschen, die ohne seine/ihre Hilfe im Elend versinken wĂŒrde.
Eigentlich muss man sich darĂŒber freuen, dass es diese RĂ€ume gibt, dass wir sie finanzieren (können), dass es Leute gibt, die dort arbeiten wollen und sich kĂŒmmern dĂŒrfen. Aber die Beklemmung bleibt erhalten – es wĂ€re so sehr wĂŒnschenswert und so sehr viel besser, wenn wir sie eben gar nicht brĂ€uchten.
Der besondere Wert von Bettina Steinackers Fotoprojekt liegt in seinem umfĂ€nglichen Serien-Charakter und der wertvollen Text-Begleitung begrĂŒndet. Gerade dadurch dass Bettina Steinacker uns die Vielfalt und die Vielzahl dieser “Sozialen RĂ€ume” in einer einheitlichen, unaufgeregten Bildsprache vor Augen fĂŒhrt, kommen unsere Imagination und unser Nachdenken in Gang.
Mehr kann man von einer solchen Fotoserie und den sie begleitenden Texten nicht verlangen. Die Interviews hat Bettina Steinacker gefĂŒhrt, es gibt noch mehr, als die hier prĂ€sentierten – zusammen ergĂ€ben Texte und Bilder ein gutes Buchprojekt.
von Daniel Stemmrich
weitere Informationen:
Bettina Steinacker â Neue Landschaften / Soziale RĂ€ume
noch bis 30.11.2012
VHS-Galerie, Haus am GrĂŒnen Ring
WilhelmstraĂe 37, 44649 Herne-Wanne
www.vhs-herne.de