Im neuen Jahr ist direkt viel los. Streifzug #14 zu aktuellen Meldungen der letzten Tage:
Dauerbrenner
Aus der Presse gar nicht mehr heraus kommt das hier schon mehrfach erwĂ€hnte geplante Bundesinstitut fĂŒr Fotografie, aber es ist nicht unbedingt die Art von Presse, die sich manche Beteiligt erhofft haben werden. Denn wem die plötzlichen Finanzierungszusagen auch etwas spanisch vorkamen, ist nicht allein: Dass eine KulturstaatsekretĂ€rin samt ihrer Expertenkommission vom eigenen Budgetgremium ĂŒberfahren wird, daraufhin öffentlich die Beschlusslage in Frage stellt und dafĂŒr auch noch postwendend aus dem Hintergrund eine ebenfalls öffentliche Ansage vom hier schon erwĂ€hnten Hagen Lippe-WeiĂenfeld kassiert, sieht man jedenfalls nicht hĂ€ufig.
Des RĂ€tsels Lösung: Die KulturstaatsekretĂ€rin ist gar nicht Herrin ihres Etats und damit auch nicht dieses Verfahrens, sondern “Marionette des Parlaments“, das eben nicht der GrĂŒtterschen, sondern der konkurrierenden Gurskyschen Idee eines Instituts grĂŒnes Licht gab, da dessen Truppen einfach besser auf Zack waren. GrĂŒtters: “Da gibt es natĂŒrlich auch viele Beziehungen zueinander“.
WĂ€hrend der Spiegel Andreas Gursky ein Podium fĂŒr seinen UnsterbÂlichÂkeitsÂwunsch gibt, fasst Peter Truschner die beiden weniger freundlichen Artikel der SĂŒddeutschen unter dem Stichwort einsetzende RefeuÂdalisierung zusammen: konserviert werden solle hier hautptÂsĂ€chlich der Marktwert der langsam aber sicher aus der Mode kommenden Initiatoren, mittels 80 Millionen Euro HandÂgeld zur SelbstÂinstitutionaliÂsierung, von Buddies zugeschustert, auf eine Weise, die selbst fĂŒr den chronisch intransparenten KulturÂbetrieb etwas viel ist und bei dieser Gelegenheit von Jörg HĂ€ntzschel in der SĂŒddeutschen seziert wird.
Kunsthistorisches Reenactment
Aby Warburgs mythischer Bilderatlas Mnemoysyne wird ab April im Berliner Haus der Kulturen der Welt in einer “nahezu vollstĂ€ndig mit den Originalabbildungen” erstellten Rekonstruktion zu sehen sein, mit ParallelÂausstellung in der GemĂ€ldegalerie. Das ZKM Karlsruhe zeigte bereits 2016 eine vollstĂ€ndige Rekonstruktion aller 63 Bildtafeln, allerdings nur zwei mit Originalmaterial. Online sind einige Tafeln z.B. beim Warburg Institute zu sehen.
Zu Warburgs Lebzeiten blieb der Atlas unvollendet, seine Rekonstruktion begann in den 1970ern. Dass der Atlas seither ein “sonderbares Eigenleben” entwickeln konnte, liegt fĂŒr den Rezensenten des Siegener Warburg-Symposiums 2013 auch daran, dass er ein “Produkt seiner wissenschaftlicher Rezeption” ist. Bonmot aus der Diskussion in Siegen: “WĂ€re Warburg fertig geworden, wĂ€ren wir heute alle nicht hier”.
Performanz des Realen
Screenshots als “Rache der analogen Fotografie an der digitalen”: DeutschlandÂfunk-GesprĂ€ch mit Peter Geimer und Annekathrin Kohout ĂŒber das Buch von Paul Frosh.
Bilder, die keiner sehen soll
Wenn die Institutionen nicht mehr funktionieren, wird es knapp: National Archives exhibit blurs images critical of President Trump. David Ferriero, von PrĂ€sident Obama berufener Archivar der Vereinigten Staaten, hat ein groĂformatiges Ausstellungsfoto vom 2017 Womenâs March so verĂ€ndern lassen, dass beispielsweise aus “God Hates Trump” “God Hates” wird und um Himmels Willen keine Bezeichnungen weiblicher Geschlechtsorgane zu lesen sind. Wer nun denkt, in der Kunstwelt wĂŒrde auf eine so schmale Ideen schon keiner kommen, fĂŒr den hat Peter Truschner etwas vorbereitet: Gottlos, roh und unschicklich – Neue Formen der Zensur bei kĂŒnstlerischen Bildern.
Bilder, auf denen man vielleicht besser nicht drauf wÀre
Wer vor nicht zu langer Zeit sagte, automatiÂsierte GesichtsÂerkennung gehöre verboten, wĂ€re nicht nur von dessen Proponenten in die NĂ€he von AluhuttrĂ€gern gerĂŒckt worden. Doch spĂ€testens seit bekannter geworden ist, was China damit so gegen seine BĂŒrger treibt, ist “Digital First – Bedenken second” nicht mehr erste Wahl: die anlasslose VollĂŒberwachung der Bevölkerung hĂ€lt zwar noch Bundesinnenminister Seehofer fĂŒr eine gute Idee, nicht mehr aber die EuropĂ€ische Kommission, die offenbar ein KI-Moratorium plant.
Was technisch möglich ist, demonstriert derweil die Firma Clearview AI. Sie hat unter anderem drei Milliarden der schönen Fotos, die wir alle von uns auf soziale Netzwerke hochgeladen haben, geerntet und damit ein Bild-rein-Personenprofil-raus-System gebaut, wie es sonst noch keiner gewagt hat. Ein Investor: “Sure, that might lead to a dystopian future or something, but you canât ban it.”
Bilder, die noch entstehen können
Der Stilllegungspfad Braunkohle ist drauĂen, also der Zeitplan, nach dem die verbliebenen Braunkohlenkraftwerke in Deutschland stillgelegt werden sollen. Damit ist auch klar, wie lange sich solche Anlagen noch in Betrieb fotografieren lassen. Möglicherweise ist noch Luft fĂŒr etwas facettenreichere Darstellungen als die typischen der letzten Jahre.
Ein grundsĂ€tzliches Problem fotografischer Arbeiten, die technischen oder gesellschaftlichen Wandel abbilden sollen, ist die adĂ€quate Behandlung des Davor-Zustands, einfach, weil viele Themen erst auf dem Radar auftauchen, wenn der Wandel bereits sichtbar geworden ist. Aktenstudium kann auf die richtige FĂ€hrte fĂŒhren – Ănderungen an Bauten und Anlagen bedĂŒrfen Planungen und Genehmigungen, und viele davon sind öffentlich einsehbar.
So gibt es beispielsweise in diesem Bericht der NRW-Landesregierung (PDF) zur Frage der Grubenwasserhaltung im Ruhrgebiet auf Seite 11 eine Tabelle zu bergrechtlichen BetriebsplĂ€nen. Zum Standort Zollverein steht dort: “Abschlussbetriebsplan zum RĂŒckzug aus der Grube und zur Einstellung der Wasserhaltung liegt vor, Betriebseinstellung Ende 2021 geplant”. Dann ist das Welterbe und Symbol Zollverein kein Bergwerk mehr. Daran lieĂe sich doch sicherlich die ein oder andere Fotoserie aufhĂ€ngen. Zwei Jahre Zeit sind noch.
Und sonst?
FĂŒr Freunde der gepflegten Fachkamera-Fotografie: Bob Thall, 1972 bis heute.
Text: Haiko Hebig
Titelbild: Bob Thall