GlĂĽcklicherweise befindet sich Tobias Zielony nicht im Herbst seines Schaffens, sondern entschied sich fĂĽr den Titel The Fall nach einem profanen Rampensturz beim Fotografieren von Skatern: Dabei kugelte er sich die Schulter aus.
Das geschah in DĂĽsseldorf und kurz vor Beginn des ersten Lockdowns 2020. Und dann gibt es ja noch die englische Post-Punk-Band The Fall.

Tobias Zielony – Ausstellungsfoto: Christoph Kniel
Die Fotos von Zielony setzen die MaĂźstäbe in der zeitgenössischen Bildsprache und der kĂĽnstlerischen Dokumentarfotografie. TZ ‘arbeitet an der Schnittstelle zwischen fiktiven und dokumentarischen Behauptungen und erforscht die politischen und ästhetischen Potenziale.
Seine fotografischen wie filmischen Arbeiten sind von einem kritischen Verständnis des Genres und dem Streben nach Selbstbestimmung und Emanzipation der Protagonist:innen geprägt’.
Selbstdarstellung – Jugend, Migration, Sexarbeit und Wandel sind Hauptthemen des Wuppertalers (48). Seine Fotografien ‘zitieren in ihrer räumlichen Verdichtung den allgegenwärtigen Fluss von Social Media Images auf elektronischen Geräten wie Smartphones und Computern’ (Pressetext Museum Folkwang).

Tobias Zielony – Ausstellungsfoto: Christoph Kniel
So steht denn das extra installierte Holzpodest im Ausstellungsraum The Fall auch wie zur Huldigung an den MeisterschĂĽler Timm Rauterts. Kuratiert wurde die Zielony-Schau von Thomas Seelig, seit 2018 Leiter der fotografischen Sammlung des Museums Folkwang in Essen.
Jedoch: das Podest dient nicht nur dazu, die Inkjet-Prints aus höherer Warte in Augenschein zu nehmen, sondern für diverse Workshops, darunter ausgerechnet einen Skateboard-Workshop.

Tobias Zielony – Ausstellungsfoto: Christoph Kniel
Zielony: ‘Den Start in meine Portraitreihen gab die Ăśberlegung, welche Bilder wollen die Leute von sich entwerfen, wie wollen sie sich inszenieren? So begann es.’ Im Jahr 1997 mit dem Fotografiestudium im walisischen Newport. Und der Neugier auf Jugendliche in unterschiedlichen JogginganzĂĽgen.
‘Warum tragen die einen adidas, die anderen Nike oder Puma?’ Die sozialen Codes und Körperhaltungen, die nonverbalen Kommunikationsformen waren die InitialzĂĽndung fĂĽr Zielonys fotografisches Arbeiten und seine Serien, die auf allen Kontinenten entstehen.

Rechts: Zielonys Vater im Bergbau-Museum in Bochum
Was sich nicht nur Berufsfotografen stets vor Augen fĂĽhren sollten, ist die Nettiquette. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wichtig fĂĽr alle, die Menschen fotografieren wollen: Vorher immer fragen, sonst kann es ‘was aufs Auge geben. Diese Erfahrung hatte auch Zielony gemacht. Zweimal gab es fast was aufs oculi, weil er nicht gefragt hatte.
Fazit für uns Betrachter:Innen: so sind denn nun alle Zielony-Protagonist:Innen, obwohl es nie danach aussieht, inszeniert. Was ist Zufall, was Dokumentation, was Posing? „Ich schaffe eine Fiktion. Die hat viel mit dem zu tun, was ich vorfinde, aber sie ist immer eine Konstruktion von Wirklichkeit.”

Tobias Zielony – Ausstellungsfoto: Christoph Kniel
Nochmals: Zielony fotografiert keine Promis, sondern eher Außenseiter sowie sozial im Abseits stehende oder sozial Abgehängte. Und schafft es, diese so interessant erscheinen zu lassen wie einen Celebrity.
Nein, spannender, weil seine Portraits (Kurz-)Filme im Kopfe der Betrachter entstehen lassen. Direkte Blickkontakte gibt es fast nie. Zielony arbeitet meist abends und nachts, ohne Blitz und Stativ, nutzt das Licht vor Ort.

Tobias Zielony – Ausstellungsfoto: Christoph Kniel
Parallel und gleichberechtigt neben den Fotos zeigt das Folkwang Videos und Filme Zielonys. Fotos jugendlicher Bewohner aus der von der Camorra kontrollierten neapolitanischen Siedlung Le Vele di Scampia machten ihn – mittlerweile in einem Atemzug genannt mit Nan Goldin, Larry Clark und Wolfgang Tillmans – 2010 weltweit bekannt. Essen zeigt nicht diese Fotos, sondern ein Neun-Minuten-Video ĂĽber die gewaltigen Betonburgen und folgt einem Jungen durch das Gebäudelabyrinth.
Brachial ist auch sein 6’15” Zombiefilm Die Untoten. Dieser in Chemnitz gedrehte Film ist auch eine Abrechnung mit den NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos, die von 1998 bis 2000 in Chemnitz untergetaucht waren. Bizarr: Im palästinensischen Ramallah entstand der fĂĽnfminĂĽtige Film „Al-Akrab“. Zu sehen sind SchĂĽlerinnen, die bei einem Animationsworkshop einen toten Skorpion unter Schwarzlicht auf einem Tricktisch zum Leben erwecken. Al-Akrab, der Skorpion, ist eine Hommage an die Eröffnungssequenz des Filmklassikers L’age d’or von Luis Bunuel.

Tobias Zielony – Ausstellungsfoto: Christoph Kniel
Zielony ist ein sehr politischer Mensch: In der Arbeit »The Citizen« zeigt er Geflüchtete aus Afrika in Deutschland und veröffentlichte die Bilder in afrikanischen Zeitungen. Damit konterkariert er die bekannte westliche Standardrichtung der Berichterstattung.
Normalerweise fahren Fotograf:Innen in Krisengebiete und verkaufen ihre Bilder an Magazine und Zeitungen in Europa oder Nordamerika. Diese Fotos wurden 2015 gezeigt im Deutschen Pavillon der Biennale di Venezia aus (Kurator Florian Ebner).
Lesetipp:
das Zielony-Interview zur Folkwang Ausstellung im Magazin Das Wetter Nr. 24.
The Fall
bis 26. September. Di, Mi, Sa, So 10 – 18 Uhr
Do, Fr 10 – 20 Uhr
Feiertage 10 – 18 Uhr
Mo geschlossen
Text: @hartmut.buehler.fotografie
Ausstellungsfotos: Christoph Kniel

Tobias Zielony – Ausstellungsfoto: Christoph Kniel

Tobias Zielony – Ausstellungsfoto: Christoph Kniel

Tobias Zielony – Ausstellungsfoto: Christoph Kniel