Rede anlÀsslich der Ausstellungseröffnung Neuaufnahmen 2019 von Pixelprojekt Ruhrgebiet am 11. Juli im Wissenschaftspark Gelsenkirchen.
Um Pixelprojekt_Ruhrgebiet in seiner Einmaligkeit in der Landschaft fotografischer Langzeitprojekte zu verstehen, muss man sich die Struktur der Website und der Organisation anschauen, die seit ihrem Launch 2003 auch gestalterisch fast unverÀndert geblieben ist.
GrĂŒndungsidee – ein unhierarchisches Forum
Vor gut 16 Jahren wurde das Projekt von Peter Liedtke ins Leben gerufen und noch heute, im Jahr 2019, kann man die GrĂŒndungsidee erahnen, ein kostenloses und unhierarchisches Forum fĂŒr selten ausgestellte und publizierte Fotografien des Ruhrgebiets zu sein. Nicht mehr so einfach zu rekonstruieren dĂŒrften die Ausgangslage von Pixelprojekt_Ruhrgebiet in den Zeiten seiner GrĂŒndung sein, welche damaligen digitalen Infrastrukturen vorhanden waren, sowie die Fragen des technologischen Fortschritt im Allgemeinen, die auf Produzenten- wie auf Vermittlerseite thematisiert wurden.
Nur zu gut erinnere ich mich an Diskussionen mit Fotografen und Fotografinnen und das fast schmerzvolle AbwĂ€gen, ob eine digitale PrĂ€senz in Form einer Website förderlich oder schĂ€dlich fĂŒr die eigene Arbeit sei. Noch stellte nicht jede/r Bildautor oder -autorin seine oder ihre Werkgruppen mit Lebenslauf und Kontaktadresse auf einer eigenen Website ins Netz.
In diesem Sinne mussten die Regeln noch geschrieben, respektive die Herausforderungen und Möglichkeiten durch trial and error erlernt und erfahren werden. Es wurde beispielsweise der Verlust an Kontrolle ĂŒber die Kontexte der eigenen Arbeit bemĂ€ngelt. Dies lange bevor wir uns alternativlos und mit viel grösseren Folgen mit den Reichweiten und Nutzungsbedingungen von Social Media Plattformen wie Facebook oder Instagram einverstanden erklĂ€rt haben.
In gewisser Weise war der Weg der Digitalisierung vorbestimmt, auf dem Bildrechte und kommerzielle Verwertungen auf den digitalen KanĂ€len fĂŒr Einzelpersonen immer schlechter realisierbar waren. Auf der anderen Seite kauften global agierende Bildagenturen wie Getty Images in grossem Masse Bildrechte von historischen und aktuellen BestĂ€nden auf, um die Bilder exklusiv zu vermarkten.
Nachhaltiges Wirken abseits der Verwertung
Wie behauptet sich nun ein Projekt wie das hiesige, das im idealistischen Sinne ohne kommerzielle Hintergedanken eine Ăffentlichkeit fĂŒr Fotografie herstellt? Und wie unterscheidet es sich beispielsweise von Sammlungen Online von Kunst- und Fotomuseen? Im RĂŒckblick kann man feststellen, dass gerade der Weg abseits der Verwertung ein nachhaltiges Wirken ermöglicht hat.
Die Bildautorinnen und -autoren stellten und stellen ihre Werke und Werkgruppen gern in einen kulturellen Kontext, der zwischen Datenbank und Online-Ausstellung angesiedelt ist. Anders als die grossen staatlich geförderten Projekte wie beispielsweis der Farm Security Administration (FSA) der 1930er Jahre in den USA oder dem topografischen Dokumentationsprojekt DATAR im Frankreich der 1980er Jahre, existieren die Werke von Pixelprojekt_Ruhrgebiet bereits.
Sie sind teils ĂŒber mehrere Jahre von den Fotografinnen und Fotografen aus Eigenmotivation und ohne substanzielle UnterstĂŒtzung von anderer Seite entstanden und finden den Weg aus den Fotoschachteln der Archive auf die Festplatte des Projekts.
JĂ€hrliche Ausstellungen als Treffpunkt von Personen und Positionen
Die jĂ€hrlichen Ausstellungen in Form physischer NeuzugĂ€nge sind ein möglicher Weg zur Ăffentlichkeit, der rĂ€umlich und zeitlich begrenzt ist und der dennoch eine wichtige Funktion erfĂŒllt; nĂ€mlich den des Treffpunks und des Austauschs aller Mitwirkenden. Hier treffen historische Positionen, abgezogen auf schwarz/weissem Barythpapier beispielsweise, auf neueste Produktionen, die wahrscheinlich digital fotografiert, bearbeitet und ausgedruckt wurden.
Formate und Papiere wechseln sich ab und belegen die unendliche Vielfalt fotografischen Schaffens der letzten Jahrzehnte. Eine Pixelprojekt_Ruhrgebiet-Ausstellung erzĂ€hlt neben den Fotogeschichten zum und ĂŒber das Ruhrgebiet immer auch die Materialgeschichte des Mediums selbst.
Pixelprojekt im Web eröffnet verschiedene Lesewege
Mit der Eröffnung der jÀhrlichen Ausstellung gehen auch die Bildserien online. Durch die Gliederungen nach Zeiten, Orten und Themen sowie der Auszeichnung der aktuellen NeuzugÀnge stehen den Nutzern von nun an verschiedenste Lesewege offen.
Im digitalen Raum eröffnen sich den Fotografinnen und Fotografen standardisierte Möglichkeiten der PrĂ€sentation. Neben einer fĂŒr die jeweilige Serie angemessenen Breite von Bildern begleiten die Positionen biografische und projektbezogene Informationen.
Einer der wichtigsten Aspekte beim Schauen und Entdecken ist die VerknĂŒpfung von Inhalten, die in den letzten 16 Jahren aufgeladen wurden und die sich je nach Interesse der Betrachtenden immer wieder neu sortieren.
Digitales Archiv ist Garant fĂŒr VitalitĂ€t
Im Gegensatz zu Fotografie im musealen Kontext fokussiert das Pixelprojekt_Ruhrgebiet allein auf die Speicherung und VerfĂŒgbarkeit der digitalen Inhalte. Die Bildserien verbleiben nach den Ausstellungen bei den Fotografinnen und Fotografen und verlangen keine kostenintensiven Ăberlegungen zur Langzeitarchivierung der fotografischen AbzĂŒge. WĂ€hrend sich also ein Museum ĂŒber den Erwerb, den Besitz und die Archivierung seiner physischen AbzĂŒge einer digitalen PrĂ€senz annĂ€hert, liegt die Grundidee von Pixelprojekt_Ruhrgebiet genau auf der anderen Seite des Spektrums.
Es ist und bleibt vital, weil es ideell von den Fotografinnen und Fotografen sowie von Peter Liedtke als Initiator und Motor getragen wird und mit einem vergleichsweise kleinen Budget in die (digitale) Zukunft gefĂŒhrt wird.
Anders als beim Publizieren von BĂŒchern und Katalogen erlaubt die digitale Plattform den Betreibern von Pixelprojekt_Ruhrgebiet, sich nicht aufgrund von produktionsbedingten Kosten beschrĂ€nken zu mĂŒssen. Bildserien werden ihrer Tiefe und ihrem Umfang entsprechend ausgewĂ€hlt und online gestellt.
Reiche und gut strukturierte fotografische Inhalte sichern Zukunft
Man wĂŒnscht dem Projekt fĂŒr die Zukunft, dass diese digitale Form des Publizierens und das Schaffen einer breiten und manchmal auch abstrakten Ăffentlichkeit weiterhin möglich sein wird. Die Struktur, die Peter Liedtke dem Projekt 2003 an die Hand gegeben hat, trĂ€gt entscheidend dazu bei.
Wichtigstes Gut der Plattform sind die vielfĂ€ltigen und thematisch reichen Inhalte der Fotografinnen und Fotografen, die den Besuch der Website auf jeden Fall lohnenswert machen. Ăberzeugend an der Struktur ist, dass die Inhalte und damit die Kontexte mit jedem Jahr wachsen.
Die Vielzahl der jÀhrlichen Bewerbungen fast jeder Generation von Bildermachern zeigt, dass es jenseits der PrÀsenz auf der eigenen Homepage eben auch darum geht, in den richtigen KanÀlen und einer passenden Nachbarschaft gezeigt und prÀsentiert zu werden.
Thomas Seelig ist Leiter der Fotgrafischen Sammlung Museum Folkwang in Essen.