Seit langem steht in meinem Regal das stern Fotobuch âBilder vom Kriegâ 1983 herausgegeben von Rolf Gillhausen mit dem Untertitel â130 Jahre Kriegsfotografie â eine Anklageâ als Katalog zu der gleichnamigen Ausstellung, die unter anderem auch in der Kunsthalle Recklinghausen ausgestellt war.
Das Vorwort dazu schrieb der Theologe Helmut Gollwitzer ein Freund und Wegbegleiter Rudi Dutschkes. Auf dem Titel ist das berĂŒhmte Vietnambild von Huynh Cong Ut, aud dem schreiende Kinder, in der Mitte das nackte MĂ€dchen Twang Bang am 8. Juni 1972 nach einem Napalmangriff aus ihrem Dorf fliehen. Wir alle kennen dieses Foto und an sich braucht es kein weiteres Foto, um der Grausamkeit des Krieges ein Bild zu geben, nicht das Foto von Robert Capa, der einen spanischen Loyalisten in dem Moment fotografierte, in dem ihn eine tödliche Kugel traf (Capa fotografierte das Bild blind mit ausgestrecktem Arm aus einem SchĂŒtzengraben heraus) und auch nicht das Foto von Eddie Adams, der das Foto machte, auf welchem der Polizeichef von Saigon einen gefangenen Vietcong vor der Kamera â und einige sagen auch fĂŒr die Kamera – mit einem Kopfschuss aus nĂ€chster NĂ€he tötete.
âBilder vom Kriegâ erschien 1983 und somit acht Jahre nach dem Ende des Vietnam Kriegs. FĂŒr den Widerstand gegen diesen Krieg und die weltweiten Proteste hatten insbesondere die Fotografien eine enorme Bedeutung. An die Wirkung der Fotografie als Instrument, das den Krieg beendete, glauben wir foto- und bildjournalismusaffinen BĂŒrger nur zu gerne.
Und dennoch werden immer noch jeden Tag Kriege gefĂŒhrt und Grausamkeiten begangen â mit und auch ohne Kriegsfotografie.
Magazine leben nach wie vor von den visualisierten Grausamkeiten und die world press foundation prĂ€miert Jahr fĂŒr Jahr entsprechende Bildmacher mit dem Photo des Jahres. Und wir können froh sein ĂŒber diese Bildjournalisten, die uns zeigen, was auf der Welt passiert. Denn hĂ€tten wir diese Bilder nicht, wĂŒssten wir nichts davon und hĂ€tten auch keinen emotionalen Bezug.
Albert Renger-Patzsch, “Blick vom Rathausturm” – Essen nach dem ersten schweren Luftangriff, MĂ€rz 1943, Fotoarchiv Ruhr Museum
Ganz anders ist nun der Zugang zum Thema Krieg, den uns die aktuelle Ausstellung âConflict â Time â Photographyâ im Museum Folkwang zeigt. Die Ausstellung wurde von Simon Baker fĂŒr die Tate Modern kuratiert und entstand in Zusammenarbeit mit dem Folkwang und den staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Die Projektleitung fĂŒr das Folkwang hatte Hans-JĂŒrgen Lechtreck.
Im Gegensatz zu London werden im Folkwang auch Arbeiten zum Ruhrgebiet (z.B. von Albert Renger-Patzsch, Ruth Hallensleben, Josef Stoffels und von Pixelprojekt Fotograf Willy van Heekern â vieles aus der Sammlung des Ruhr Museums, aber auch von RenĂ© Burri) und zum Rheinland (z.B. August Sander, Karl Hugo Schmölz und Margaret Bourke-White) gezeigt.
Allein das ist schon bemerkenswert, waren doch in den vergangenen Jahren das Museum Folkwang und das Ruhr Museum eher mit Abgrenzung als mit Kooperation unterwegs.
Aber neue Köpfe â neues Handeln. Und der Ausstellung hat der Lokalbezug, der ja letztlich NĂ€he schafft, nur gut getan. Ich konnte es mir zuvor kaum vorstellen, wie umfassend Essen und vor allem die Kruppschen Produktionshallen am Ende des Krieges zerstört waren. Nach der Ausstellung habe ich das gebaute Ruhrgebiet mit endlos vieler billiger und schnell hochgezogener Nachkriegsarchitektur anders gesehen.
In dieser Ausstellung geht es im Gegensatz zu dem genannten Bildband vor allem auch um den Aspekt der Zeit und um entsprechende Konzepte, aber auch um Einzelbilder, Installationen, FotobĂŒcher und sonstige Veröffentlichungen, die somit unweigerlich nicht nur von Bildjournalisten stammen mĂŒssen.
Die Zeit gibt der Ausstellung, die im Folkwang aus 13 RĂ€umen besteht, Struktur. Einer dieser RĂ€ume ist der zentrale Raum des âArchive of Modern Conflictâ, die private Aufnahmen, offizielle Bilder, historische AusruÌstungsgegenstĂ€nde und weitere Objekte aus den Jahrzehnten des Ersten und Zweiten Weltkriegs zu einer multimedialen Installation zusammenfuÌhrt. Ein weiterer Raum, der lediglich fĂŒr Essen konzipiert wurde, zeigt die oben genannten Fotografien zum Rheinland und zum Ruhrgebiet.
Die Ausstellung beruft sich auf ein Buch von Kurt Vonnegut jun. Dieser hatte die Brandbombenangriffe auf Dresden selbst miterlebt und sah entsetzt die zerstörte Stadt, die er als die âmöglicherweise schönste Stadt der Welt bezeichneteâ am nĂ€chsten Morgen völlig zerstört. Erst 24 Jahre spĂ€ter reagierte er mit der Veröffentlichung seines Buches âSchlachthof 5â.
Und auch in der Fotografie reagieren Fotografen und Projekte immer wieder auch auf lĂ€nger oder lange zurĂŒckliegende traumatische, unbekannte oder vergessene Konflikte. Es wundert daher kaum, dass sich Fotografien des 2. Weltkriegs, Vietnams und die AtombombenabwĂŒrfe auf Hiroshima und auf Nagasaki durch die Ausstellung ziehen. Die Arbeiten haben mal einen zeitlichen Abstand zum Geschehen von Momenten, mal von Wochen, mal von Monaten, mal von Jahren.
Die Gesamtausstellung beginnt mit dem Raum der Momente und endet mit einer Arbeit von Chloe Dewe Mathews, die die Hinrichtung von Soldaten wegen Feigheit und Fahnenflucht im 1. Weltkrieg und somit vor 99 Jahren thematisiert und stellt Fragen, die weit ĂŒber das entsetzt-ratlose âWozu sind Menschen fĂ€hig?â hinausgehen.
Chloe Dewe Mathews, SHOT AT DAWN – Soldat Ahmed ben Mohammed el Yadjizy, Soldat Ali ben Ahmed ben Frej, ben Khelil, Soldat Hassen ben Ali ben Guerra el Amolani, Soldat Mohammed Ould Mohammed ben Ahmed
Und auch die Bilder der Momente sind nicht nur bildjournalistischen Fotografien, die den entscheidenden Augenblick eingefangen haben. So beginnt die Ausstellung unter anderen mit einem Bild von Adam Broomberg und Oliver Chanarin, die in Afghanistan anstatt zu fotografieren, ein StĂŒck Fotopapier durch die Sonne belichten lassen und dieser Arbeit den Titel âDer Tag, an dem niemand starb IIIâ geben. Damit zeigen sie nichts Konkretes, sondern thematisieren, indem sie nicht fotografieren, die aktuelle Einbettung von Journalisten (embedded journalists) als Methode der Armee, um Reportagen und Bilder zu kontrollieren.
Richard Peter sen., Dresden: Eine Kamera klagt an. Dresden 1949
13 RĂ€ume, rund 130 Werke, mehr als 800 Exponate und ein Zeitrahmen von 1855 â 2013 geben einen beindruckenden Ăberblick ĂŒber die fotografische Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg und Konflikt. Man bekommt das GefĂŒhl, als könnte man sich allein mit dieser Ausstellung nahezu endlos mit dem Thema auseinandersetzen. Die Kraft und Ausdauer der Fotografen, von Institutionen und des Kurators ermöglichen uns tiefes, berĂŒhrendes und nachhaltiges Denken.
Das diese Ausstellung die Kriege dieser Erde beenden wird, können wir bezweifeln. Erst heute, am 19. April ist ein Boot mit mehr als 900 FlĂŒchtlingen aus Libyein gesunken und es ist zu befĂŒrchten, dass nahezu alle Passagiere ertrunken sind. Wir wissen von dem Konflikt und von der tĂ€glichen Gefahr und schauen tatenlos zu.
Bilder können an den GrÀueln der Welt nichts verÀndern, aber sie können uns im besten Fall dazu motivieren, uns zu engagieren. Diese Ausstellung bietet einen Anlass dazu.
Daher wĂŒnsche ich ihr viele Besucher!
Text: Peter Liedtke
Conflict â Time â Photography
bis 5. Juli
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
www.museum-folkwang.de