ArchĂ€ologen der Zukunft werden sich ein Bild ĂŒber unsere jetzige Zeit aus den Funden der weltweit riesigen MĂŒllhalden erarbeiten. Eine dieser MĂŒllhalden wird Facebook sein.
Die meisten Bibliotheken oder Archive sind zwar zugĂ€nglich, aber man benötigt eine Genehmigung und muss schon mal anreisen. Um dann erst einmal das Archivierungssystem zu verstehen, lange zu suchen und unter UmstĂ€nden festzustellen, dass das Gesuchte sich nicht vorfinden lĂ€sst. Archivarbeit ist trocken, staubig, sehr zeitintensiv und von vielen RĂŒckschlĂ€gen geprĂ€gt. Selten, dass man mal etwas Schönes findet, welches, aus Höhlen alter BestĂ€nde in frische UmschlĂ€ge verpackt, noch einmal im Licht der Gegenwart aufglĂ€nzt.
Wie das Buch “Flora” des Modefotografen Nick Knight, der seine beeindruckenden Bilder in der Sammlung des Herbariums im National History Museum in London machen durfte. (Schirmer & Mosel, 1997) Das Buch ist wunderbar insbesondere deshalb, weil diese Bilder trotz dokumentarischer ZurĂŒckhaltung in der fotografischen Arbeit eine Ă€sthetische QualitĂ€t liefern, die zur Zeit des Sammlungsgeschehens, also im 17., 18. und 19. Jahrhundert, so nicht möglich gewesen wĂ€re – und die diese Sammlung damit aufs Neue und erweiternd unterstĂŒtzt.
Die meisten Museen aber fristen ein Dasein im alterierten DĂŒnkel ob der SchĂ€tze, die so dann doch keiner sehen und vor allem, miterleben kann. Und genau an diesem Manko liegt die Chance des sich selbst bestĂ€ndig neu erfindenden digitalen Blogs.
In den basisdemokratischen Ideen, laut derer jeder alles beisteuern darf, sind Facebook und Youtube unschlagbar. Trotz vermeintlicher Steuerung, die es den Usern erlaubt, nur bestimmte Inhalte einer bestimmten Personengruppe zukommen zu lassen, werden diese User dennoch utilised in den cleveren Systemen der Marktsteuerung und Verbraucherbewerbung. Hiermit werden sie selbst zum Produkt und feiern ihre neu erworbene Aufmerksamkeit euphorisch.
Und die Piraten halten das Netz als solches fĂŒr so substanziell, dass es keine Rolle spielt, wer und/oder was dort eingepflegt wird; und damit fĂŒr alles und jeden kostenfrei sein darf. Das geht schon mal gar nicht.
Wenn an den freiheitlichen und netzgebundenen Modellen wie Facebook ein ĂŒbergreifendes Archiv entwickelt wird, muss als erstes eine aus den Notwendigkeiten heraus erarbeitete Ideologie formuliert sein. Wo kann ich mich nicht ausdrĂŒcken? Wo werde ich unterdrĂŒckt? Was drĂŒckt mich? Nur diese BedĂŒrfnisse setzten die nötige Energie frei, sich engagiert zu formulieren.
Solche Netzsysteme sind hervorragend in der publizistischen Idee der Vermehrung.
Ein Link, eine weitere Sammlung von Mail-Adressen, und in weniger als fĂŒnf Kontakten erreicht man die ganze Welt. Nur womit?
Der VerschleiĂ in sozialen Netzwerken durch getwitterte Aufdringlichkeiten und linkedinen Wichtigtuern nimmt zu. Keiner hat die KapazitĂ€ten, alles abzudecken, muss aber dabei sein. FrĂŒher reichte es, den Anrufbeantworter abzuhören, um zu wissen ob man etwas verpasst hatte, heute stellt man sich den ganzen Tag den Unmöglichkeiten des weltweiten Meinungsbildes. Und verpasst sich selbst.
Die Isolation entsteht in der Ăberschwemmung: Mit wem teile ich meine letzte Zigarette?
Es ist bewiesen, dass hierarchische, offene Strukturen sich besser durchsetzen und mehr Effizienz bringen als chaotische Systeme. Das wirkt unfreundlich kapitalistisch. Facebook hat es verstanden: nicht das strukturierte “Du machst das”, sondern das Freudsche “Das macht dich”. In sich chaotisch und scheinbar eigenverantwortlich, ein ideales Modell fĂŒr Gegenwartsindividuen. Ein Modell, an dem jeder gern teilhaben will, weil es alle Möglichkeiten verspricht, und kostenlos scheint. âDas sieht doch lecker ausâ, denkt man, und greift zu Messer und Gabel. Doch Vorsicht: Es kann ein Einheitsbrei sein.
In der virtuellen Welt sind wir von der Stofflichkeit befreit. Gehe ich in eine fotografische Sammlung, so habe ich eine Cyanotopie oder einen Albumindruck oder ein Cibachrome vor mir. Durch diese MaterialitĂ€t habe ich klare Hinweise auf die Entstehungsgeschichte, auf Indizien der Zeit. Zwar muss ich mich zur Analyse des Bildes teils ĂŒber die Technik hinwegsetzen, kann seiner Faszination gleichwohl unterliegen. Ein Betrachter solcher Werke ahnt um eine genealogische Verbindung, das, was er sieht, sind Produkte seiner Vorfahren. Jagdszenen aus Lascaux.
Im Netz finde ich nur Bilder von Graffitis, keine Graffitis selbst. In seiner Art ĂŒbermalt das im Netz Eingestellte sich selbst, gerastert auf 72 dpi, farbraumgebunden in sRGB und geruchs- und geschmacklos. Heruntergekocht auf ein Geschehen, welches ĂŒberlebt, weil es nicht lebt. Weltraumkost.
Apple hat verstanden, dass maximierte Sinnlichkeit ĂŒber das neue Retina-Display der Pads und Laptops geht. Hier wird verzweifelt nach neuen sensorischen Möglichkeiten gesucht, die den Nutzer aus seiner sterilen Welt abholen und in stĂ€rkeres Erleben fĂŒhren wollen. Wird das reichen? Alles in 3D? Das Design des iPhones ersetzt vielversprechend ein Sein. Wie sie sich anfĂŒhlt, diese angenehme Schwere, das mattschimmernde Silber, das schwarzglĂ€nzende, Welten versprechende Displayglas; halb zog sie ihn, halb sank er hin in die Tiefen des Gucklochs.
FĂŒr uns Fotografen wird das digitalisierte Bild am hochauflösenden Monitor die Zukunft sein. In dem MaĂe, wie Zeitschriften und Magazine zur App mutieren, die Druckerwalzen abgestellt werden, verbleiben wir in der Regel diesem Bildbereich verpflichtet.
Wir werden das Bild nur noch anschauen, nicht mehr in die Hand nehmen oder an die Wand hÀngen.
Somit benötige ich denn ein Teilhaben am Geschehen, einen Skypehype mit GerÀuschen, O-Ton und den chronologisch nachvollziehbaren Bildern des Bewegtbildes. Und auch redaktionell superklug aufgebauten Bildserien, assoziativ und bewegend.
Dies zwingt mich zu anderer Aufmerksamkeit als fĂŒr das an die Wand gehangene Bild nötig, dem ich mich kontemplativ-meditativ nĂ€hern und von dem ich mich wieder entfernen kann. Das Internetarchiv wird Bewegtbild sein, es wird meine Beachtung bestĂ€ndig auf etwas Neues fokussieren und damit eine Geschichte der gleichzeitigen, aber doch geteilten Aufmerksamkeit schreiben. So wie es Joyce schon schaffte, uns mit der Beschreibung von 24 Stunden monatelang in Atem zu halten. Short Cuts. Ein Konzert mit permanentem Applaus.
“Share!” werden wir aufgefordert. Gemeint ist die BestĂ€tigung einer schon geöffneten Seite, empfangen auch in unserer RealitĂ€t. Das andere “Share!” wird sein, nur dann zu teilen, wenn wir gleichzeitig etwas dazugeben. RealitĂ€tsgewinn. Wobei die RealitĂ€t sich durch Bildsprache entschlĂŒsseln wird, deren Grammatik noch erweitert werden muss. Nicht schneller, weiter, höher; aber tiefer, offener, spezieller.
Eine Freundin postet gelegentlich von ihren Reisen. Shopping in New York, anbei ein Bild von ihr vor Tiffany`s. Ich antworte mit einem Bild von Tiffany`s aus Frankfurt: mit Spanplatten verrammeltes Fenster, Angstbild des Blockupy. Ohne Worte. Bild auf Bild.
Lightroom 4, ein vormals lockeres Bildbearbeitungs/Archivpogramm von Adobe hat neue Funktionen fĂŒr Video und Diashows, direkt eingebunden in Facebook oder Twitter. Hier wird es jedem leichtgemacht, er kann sich selbst archivieren ohne lange Zeiten des Einpflegens von Daten.
Auch Fotografen mĂŒssen sich diesem Jahrmarkt der eitlen Möglichkeiten anpassen.
Eitel, weil ein unbedingt selbstbewusster und eigener Ton angeschlagen werden muss. Weg vom Einzelbild, der journalistischen Serie, ĂŒber drei TagessĂ€tze abgezahlt. Stattdessen hin zum dauernden Einsatz im Netz – von der Gema entlohnt.
Zeitnah stellen sie sich den Themen und bringen sie ins Netz. Und die Themen sind wichtig genug, sie ĂŒber lĂ€ngere Zeit zu verfolgen. Gerade in diesem lĂ€ngeren Zeitraum liegt eine enorme Chance des QualitĂ€tsmanagments. Das Thema wirklich zu durchdringen und voranzutreiben. Kein Copy & Paste, sondern es mit UnterstĂŒtzung der neuen Technik möglich zu machen, ein Thema aufzurufen und anzuschauen, was sich da weltweit und zeitgleich tut. Jede Kamera hat die Möglichkeit, ĂŒber GPS Zeit und Ort am Bild zu speichern und Google Maps steht zur VerfĂŒgung. Was fĂŒr eine Freude, wenn Blockupy-Aktivisten in Frankfurt sehen, dass sie nicht allein sind. Wie weit die anderen sind. Wo sie sind. Und wie es dort ausschaut.
Die klĂŒgsten und persönlichsten Umsetzungen von Themen sind gefragt, um dem Netzarchiv eine zumindest lebhafte Bedeutung zu geben, es aus nichtssagendem Ăberfluss zu retten.
Wieder werden es spezielle Themen sein, von Spezialisten verwaltet. Aber die Chance liegt in der permanenten Aktualisierung des stehenden Materials, der geschickten Verbindung zu anderen Ordnern. In einem System, in dem Suchen gleichzeitiges Erneuern schafft. Ein Skatspiel, schnelles Bild auf Bild, mit klaren Ansagen.
Zusammengefasst lĂ€sst sich feststellen, dass sich die alten und auf Materialsammlungen und einer Ideologie gestĂŒtzten Archive phasenweise digitalisieren und bedingt vernetzen. Langsam und in gesunder Weise den FĂ€higkeiten des Users angepasst. Sie unterlassen aber die interkommunikative Kraft des Mediums Netz. Und bleiben den Denkstrukturen, der Regelsysteme und dem Alphabet verpflichtet.
Zeitgleich wird das digitale Archiv ĂŒberschwemmt. Gesunde Filter, also Ideen und Ideologien, sind ebenso nötig wie auch die Ăffnung zum geteilten Beitrag, dem Kommentar von auĂen, zu den verlinkten Seiten, der offenen Stichwortliste. Ein etwas anderes Denken und Empfinden, was das Herz schneller schlagen lĂ€sst als man sehen kann.
Fangen wir also ganz klein und sehr speziell an.
Max Schulz,
Fotograf & Kritiker. Lebt und arbeitet in MĂŒlheim an der Ruhr. 2012