Roman Zeschky

Unter uns das Gestern - Schattenwelten im Ruhrgebiet

Unter uns das Gestern
Schattenwelten im Ruhrgebiet

Was wäre, wenn das Gestern auch heute noch zum Greifen nahe wäre? Was wäre, wenn nur der Erdboden zwischen Vergangenheit und Gegenwart läge? Roman Zeschky macht diesen Zeitsprung. In seinen Fotos zeigt er, welche untergegangenen Welten sich im Ruhrgebiet direkt unter unseren Füßen befinden.

Die für jeden sichtbaren Industrieanlagen des Ruhrgebiets wurden nach dem großen Strukturwandel in der Region immer und immer wieder in Bildern festgehalten. Jeder Umbau, jeder Abriss, jeder Neubau fand sich irgendwann auf Fotos wieder. Aber was war eigentlich unter Tage? Unter der Erdoberfläche eröffneten sich Welten. Welten, die mit der „da oben“ nicht mehr viel gemein haben. Roman Zeschky macht sich auf die Reise unter die Erde. Während sich in der Gegenwart das Ruhrgebiet von der Schwerindustrie mit seinen Kohle- und Stahlwerken ab- und zu modernen Einkaufszentren, neuen Technologien und großzügigen Parks hinwendet, ist die Vergangenheit tief unter der Erde noch immer präsent.

Unterirdische Luftschutzstollen und Krankenhäuser, Atom- und OP-Bunker, Produktionsanlagen (sog. U-Verlagerungen) und Luftschutzräume für Arbeiter, Angestellte sowie die Bevölkerung haben Geschichte geschrieben und verändern sich gleich einem lebenden Organismus immer weiter. Denn die Natur holt sich ihre Territorien zurück. Sie formt die Räume um: zu Naturhöhlen, Tropfsteingewölben, Urkathedralen. Kalkablagerungen überziehen Wände, Wurzel brechen Mauern auf.

Wie ein Forscher bewegt sich Roman Zeschky in den Objekten. Fotografisch unentdeckt, alt, nass, kalt, dunkel breiten sich die oft schwer zu erreichenden Anlagen vor ihm aus. Riesige Hallen lassen Massenproduktionen erahnen. Manche Funde berühren persönlich: Gasmaskenfilter, Schuhe, Knöpfe, Reste von Kleidungsstücken oder Halsketten zeugen von Menschen, die hier nicht freiwillig sein konnten, sondern arbeits- oder sicherheitsbedingt hier sein mussten. Beklemmung löst die Vorstellung aus, dass Anlagen und Bunker für die Menschen damals gleichzeitig Schutz und Enge, Versorgung und Angst bedeuteten, dass Tausende Menschen ausharrten in Räumen in denen heute fünf zu viel wirken.

An die fünfzig Anlagen besuchte Roman Zeschky bereits. Viele sind inzwischen wieder verschlossen. Der Fotograf bringt seine Schätze zuvor ans Tageslicht und in die Gegenwart. Unten erhellt kein einziger Sonnenschein die Anlagen. Roman Zeschky reizt bei seiner Arbeit am meisten die Ausleuchtung der Orte. Schon beim Fotografieren spielt er mit warmem und kaltem Licht.

Er inszeniert die Räume vor Ort mit Hell und Dunkel, transformiert Farben in künstlerische Virtualitäten. Es entsteht eine Spannung der Bildteile, die real zunächst reizlos oder trist wirken. Erst in der künstlerischen Produktion erhalten die Objekte Profil und Charakter.

Die endgültige Auswahl trifft der Fotograf nach der Geschichte der Motive. Je älter, je maroder eine Anlage ist, je mehr die zurückkehrende Natur Highlights setzt, desto reizvoller entfaltet sich der Charme der Objekte, die Roman Zeschky durch seine Lichtspiele unterstreicht, ja, mit seinem ganz eigenen fotografischen Kunststil neu erbaut.

Die Fotos, die Schriften erkennen lassen, tragen einen unheimlichen Humor in sich. Im doppelten Sinne. Anweisungen und Informationen stehen zunächst zusammenhangslos auf den brüchigen Wänden. Die Zusammenhangslosigkeit der Anweisungen, die Richtlinien längst vergangener Tage ist nur eine scheinbare, zeugt sie doch von menschlichen Spuren, die bis weit ins Heute reichen.

Elf Objekte präsentiert Roman Zeschky aus seiner umfangreichen Arbeit. Durch seine fotografische Kunst wird Geschichte greifbar. Der Betrachter kann über seine Bilder durch Räume der Vergangenheit wandern, eintauchen in die seltsam-bizarren Welten des Gestern. Längst sind nicht alle Anlagen und Bunker besucht und noch viel weniger abgelichtet. Die Reise geht weiter ...
© Sämtliche Nutzungsrechte an den abgebildeten Fotografien liegen bei Roman Zeschky

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